Ähnlich wie Finanzdienstleister (siehe Interview Teil 1) haben Energieversorgungsunternehmen im letzten Jahrzehnt schwere Krisen durchlebt und befinden sich in einem tiefgreifenden Wandel der Geschäftsmodelle. hkp/// group Partner Johannes Brinkkötter blickt auf eine mehr als 15jährige Laufbahn in der Chemie- und Energiebranche zurück, wo er zahlreiche Fach- und Führungspositionen im HR-Management innehatte, zuletzt als Geschäftsführer der Business Services Einheit eines europäischen Energieversorgers. Im zweiten Teil der Interview-Serie zur strategischen Personalplanung teilt er seine Sicht auf dieses HR-Management-Instrument und erklärt, was Unternehmen anderer Branchen bei dessen Anwendung in Krisenzeiten von Energieversorgern lernen können.
Herr Brinkkötter, der Reaktorunfall von Fukushima bedeutete nicht nur ein massive ökologische Belastung der Region. Er hatte auch tiefgreifende Auswirkungen auf die Energieversorgung und die mit deren Sicherstellung befassten Unternehmen weltweit. Als damaliger HR-Manager eines Energieversorgers: Welche Auswirkungen hatte die Krise auf ihr Unternehmen und ihren konkreten Arbeitsbereich?
Johannes Brinkkötter: Die Folgen des Tsunami mitsamt des Reaktorunfalls in Fukushima hatten heftige Diskussionen ausgelöst, die die Energiewirtschaft auch in Deutschland tiefgreifend verändert haben. Anfang 2011 war die hiesige Energiewelt noch von den bekannten großen Playern und ihrem Anspruch geprägt, die gesamte Wertschöpfungskette vom Gasbohrloch und Braunkohletagebau bis zu Strom- und Gas-Services für Privatkunden abzudecken. Die Laufzeit der Kernkraftwerke war gerade verlängert worden, um die volkswirtschaftlichen Kosten der Transformation zu einer klimaneutralen Energiegewinnung abzufedern.
Der Rest ist Geschichte...
Johannes Brinkkötter: Die Katastrophe von Fukushima war nur der lauteste Weckruf für die Branche. Denn neben dem nun beschleunigten Ausstieg aus der Kernenergie waren längst weitere Umbrüche evident, die die bis dato stabilen Versorgungsunternehmen – deren Aktien lange als Witwen- und Waisenpapiere galten – kräftig durcheinanderwirbeln sollten.
Mit der Konsequenz, dass sich eine ganz neue Energiewelt herausbildete!
Johannes Brinkkötter: Genau. Neben der klassischen, auf Erzeugung und Versorgungssicherheit fokussierten Welt, entstand eine neue Welt, die den zuvor oft als Abnehmer bezeichneten Kunden in den Mittelpunkt stellte und sich auf kleinteilige, dezentrale Strukturen konzentrierte. Die ehemaligen Energieriesen mussten sich, mehrmals gehäutet, als stark fokussierte Unternehmen neu erfinden. Und die Personalfunktion befand sich von Beginn an im Auge dieses Sturms.
Was waren die wichtigen personalspezifischen Herausforderungen in diesem Sturm?
Johannes Brinkkötter: Insgesamt bestanden vielfach erhebliche Personalüberhänge, die es sozialverträglich anzugehen galt.
Vor allem in den Kernkraftwerken?
Johannes Brinkkötter: Für branchenfremde Betrachter mag es überraschend klingen: In den Kernkraftwerken hatten die politischen Entscheidungen keinen unmittelbaren Personalabbau ausgelöst. Es macht zunächst keinen großen Unterschied, ob Kernkraftwerke aktiv betrieben werden oder in die mehrjährige Abschaltungsphase gehen. Und auch die noch längere Rückbauphase ist sehr personalintensiv. Daher galt es, für den nun nicht mehr strategischen Bereich Kernenergie unverzichtbares Know-how für die Nachlaufphasen im Unternehmen zu halten. Wesentlich schwerwiegender waren die grundsätzlichen Veränderungen in den Geschäftsmodellen, die in ihrer traditionellen Form nicht mehr zukunftsfähig waren.
Wie haben Sie auf diese Herausforderungen reagiert und welche Rolle hat dabei die strategische Personalplanung gespielt?
Johannes Brinkkötter: Zunächst haben wir die Neuausrichtung der Unternehmensstrategie in ihrer Konsequenz für das Personalmanagement analysiert. Daraus ergaben sich auf den ersten Blick widersprüchliche Herausforderungen für die Personalplanung. Denn während in vielen Unternehmensbereichen ein erheblicher Mitarbeiterüberhang identifiziert wurde, bestand gleichzeitig ein Bedarf an zusätzlichen Kapazitäten – insbesondere in den neuen Geschäftsfeldern rund um dezentrale Energielösungen, digitale Kundenangebote sowie in der erneuerbaren Energieerzeugung.
Ließ sich dieser Bedarf durch Um- und Weiterbildung mit dem vorhandenen Personal abfedern?
Johannes Brinkkötter: Zum Teil. Ohnehin erforderte der stärker kundenzentrierte Ansatz eine Qualifizierungsoffensive im Konzern. Daher wurde im Zuge der Umstrukturierungen der Fokus auf verfügbare wie auch zukünftig erforderliche Mitarbeiter-Kompetenzen gelegt.
und damit die strategische Personalplanung angeschoben?
Johannes Brinkkötter: Wir sind da keinem theoretischen Konstrukt gefolgt. Idee war es, die bislang eher auf Geschäftsbereichsebene betrachteten Kompetenzen auf Konzernebene nach einheitlichen Kriterien aufzustellen. Dieser Vergleich der aktuell vorhandenen mit den erforderlichen Qualifikationen ermöglichte eine mittel- bis langfristige Planung für Weiterqualifizierungen, Umschulungen sowie für den sozialverträglichen Personalabbau und gezielte Neueinstellungen.
Welche Erfahrungen haben Sie in der Umsetzung dieser Planungen gemacht und welche Empfehlungen können Sie Unternehmen geben, die von der aktuellen Krise besonders betroffenen sind?
Johannes Brinkkötter: Unabhängig von einer Krise ist es für Unternehmen von großem Nutzen, Mitarbeiterprofile entsprechend der eigenen strategischen Ausrichtung aktuell zu halten sowie mittel- und langfristig gegebenenfalls anzupassen. Dies ermöglicht es, gerade auch in Krisensituationen, fundierte Entscheidungen in kurzer Zeit vorzubereiten.
Nun kann aber nicht für jede denkbare Krisensituation ein Aktionsplan in der Schublade liegen…
Johannes Brinkkötter: Sicherlich nicht. Aber es ist nun einmal wesentlich leichter, in einer aufflammenden Krise kleinere Parameter einer Lösungsstrategie anzupassen als erst die relevante Entscheidungsgrundlage aufbauen zu müssen. Und die ein oder andere Krise kann durch eine faktenbasierte Auseinandersetzung mit Zukunftsszenarien frühzeitig identifiziert werden. Denken Sie nur an die Herausforderungen aus der Demografie. Aber gerade das Beispiel Demografie zeigt auch: Krisen und Probleme zu erkennen, ist das Eine. Es braucht zum Anderen auch den Willen zum Handeln. Sonst bleibt ein Problem ein Problem!
Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie hieraus für die strategische Personalplanung und zu welchen Schritten raten Sie Unternehmen im aktuellen Kontext?
Johannes Brinkkötter: Um sich nicht zu verzetteln, empfiehlt es sich, zunächst mit einem engeren, überschaubaren Aufgabenbereich zu starten. Angesichts der Komplexität und Größe der Aufgabe sollte erst einmal die Methodik definiert und verprobt werden, um später hierauf aufsetzen zu können. Auch wird am Anfang häufig ein zu starker Fokus auf die technologische Basis gelegt…
Die zweifelsohne wichtig ist…
Johannes Brinkkötter: … aber nicht dazu führen darf, die relevanten Daten und Prozesse zu vernachlässigen. Ein Tool kann nur so gut sein, wie die Daten- und Prozessbasis, auf die es sich stützt. Und gerade hier stellen Unternehmen häufig fest, dass wichtige Skills, Kompetenzen etc. nicht oder nicht ausreichend erfasst sind. Ist das der Fall, dann steht die Zuverlässigkeit von Ergebnissen zur Disposition, zumindest wird der Detaillierungsgrad nicht sehr hoch sein. Daher gilt es, bezüglich der eigenen Anforderungen an die strategische Personalplanung realistisch zu bleiben
Herr Brinkkötter, vielen Dank für das Gespräch!