Das Prinzip der leistungs- bzw. erfolgsorientierten Incentivierung ist unbestritten, und es gilt in den meisten gesellschaftlichen Bereichen: Im Leistungssport ist es schon im Begriff verankert, aber selbst im öffentlichen Dienst ergänzt es zunehmend das Senioritätsprinzip. Was verbirgt sich dahinter? Nun, die Incentivierung kann direktes Lob sein, mittelfristig natürlich auch beruflicher Aufstieg. Aber im beruflichen Kontext ist es vor allem die monetäre Incentivierung, mit der gute Leistungen belohnt werden. Das gilt für alle Ebenen, vom Monteur am Band über den Ingenieur und Abteilungsleiter bis hin zur Geschäftsleitung. Bei börsennotierten Unternehmen ist die Verpflichtung zu individueller Vergütungsdifferenzierung bei Vorständen inzwischen im Aktiengesetz wie auch im Deutschen Corporate Governance Kodex verankert.
In der Regel erfolgt die monetäre Incentivierung individueller Leistungen über Bonusmodelle, die als Bestandteil des monatlichen Entgelts, als Prämie für eine Jahresleistung oder anlassbezogen als Sonderzahlungen ausgezahlt werden. Für den Tarifbereich ist die Festlegung der individuellen Leistungskomponente häufig in speziellen Tarif- und Betriebsvereinbarungen geregelt. Im AT-Bereich und für Leitende Angestellte gelten in der Regel firmenspezifische Modelle. Daneben werden meist kollektive Bestandteile für den Gesamterfolg einer Organisation gewährt, sprich eine Erfolgsbeteiligung.
Performance-Management-Prozess für Führungskräfte und HR aufwändig
In der Praxis werden Leistung und Erfolg oft über die Erreichung vereinbarter Ziele und die Bewertung bestimmter Leistungs- und/oder Verhaltensmerkmale bewertet. In den letzten Jahrzehnten war dabei – mit dem Ziel einer höheren Objektivität – eine klare Entwicklung zu transparenteren und rechenbaren Verfahren zu verzeichnen, während qualitativ-summarische Herangehensweisen tendenziell mit dem Vorwurf des Nasenfaktors belegt wurden.
In jüngster Zeit sind jedoch zunehmend Zweifel laut geworden, ob die angestrebten Ziele auf diese Weise zu erreichen sind. Hintergrund: Vielfach gestaltet sich der Performance-Management-Prozess für Führungskräfte und HR sehr aufwändig und die Ergebnisse erfüllen nicht die Erwartungen hinsichtlich einer angemessenen Differenzierung von Leistung und Erfolg. Diese Diagnose betrifft sowohl die Bewertung der Zielerreichung, als auch die Beurteilung von Leistungskriterien, hat aber auf beiden Gebieten unterschiedliche Ursachen.
Performance Management konkret: das Dilemma der Zielvereinbarung
Bei Zielvereinbarungen besteht das Dilemma darin, dass Ziele, die zu Beginn eines Jahres relevant scheinen, sich im weiteren Verlauf trotz größter Anstrengung als unerreichbar erweisen, während andere einem fast in den Schoß fallen. Die Gründe sind wie immer vielfältig, liegen aber häufig außerhalb der Einflussmöglichkeiten des Stelleninhabers.
Was tun? Die Ziele unterjährig anpassen – in beide Richtungen? In einem Fall wird der Mitarbeiter freudig zustimmen, im anderen sich heftig wehren. Wenn dann nicht nur die 100%-Zielerreichung, sondern auch die Über- und Unterschreitung quantitativ fixiert werden, sind die Beteiligten vollends im System gefangen – und eine Seite meist unzufrieden. Hinzu kommt, dass auch die Zielanspannungen zwischen Führungskräften selten ein identisches Niveau haben: Die Einen sind eher ambitioniert und fordernd, die anderen eher bescheiden und verständnisvoll. Auch unterjährige Bewertungsrunden helfen kaum weiter, zumal sie zusätzlichen Aufwand für ohnehin häufig überlastete Führungskräfte hervorrufen. Am Ende haben sich alle bemüht, hohen Aufwand betrieben, sind aber vom Ergebnis mehr oder weniger enttäuscht.
Rechtsschiefe als generelles Phänomen im Performance Management
Auch bei den Leistungskriterien sieht das Bild nicht besser aus. Die meisten Unternehmen beklagen die sogenannte Rechtsschiefe. Damit ist die Verlagerung der um den Mittelwert erwarteten Normalverteilung auf die positive Seite gemeint. Diese stellt vielfach keine Ausnahme, sondern den Regelfall dar. Außerdem differenzieren Bewertungen zu wenig und sind im Zeitverlauf relativ stabil. Dieses Phänomen ist unabhängig von der gewählten Skala und den mehr oder weniger akribischen operationalen Stufenbeschreibungen zu beobachten.
Die Ursachen dafür liegen darin begründet, dass sich die meisten Menschen als überdurchschnittlich gut einschätzen. Zumindest versuchen sie, bei einer entgeltrelevanten Beurteilung aus taktischen Gründen diesen Eindruck zu erwecken. Die Aufgabe der Führungskraft ist es, dieses Selbstbild mit der Realität abzugleichen und eventuell auch zu korrigieren. Das ist sachlich nicht einfach, weil menschliches Verhalten sehr komplex ist und durch Kriterienbeschreibungen nur unzureichend abgebildet wird. Eine absolute, beweisbare Bewertung ist kaum möglich, und Führungskräfte – wie alle Menschen – bewerten erfahrungsgemäß eher gesamthaft, auf Grundlage ihrer persönlichen Erwartungen und in Relation zu Vergleichspersonen. Die häufig geforderte kontinuierliche Dokumentation positiver und kritischer Leistungs- und Verhaltensbeispiele von Mitarbeitern als Argumentationshilfen für das Mitarbeitergespräch wird selten realisiert. Außerdem bleibt auch sie punktuell und stets durch das vorher gefasste Gesamturteil determiniert.
Beispiel: Performance-Beurteilung bei Tarifangestellten
Darüber hinaus wird das Zielerreichungsgespräch in der Regel durch die finanziellen Auswirkungen beeinflusst. Im Tarifbereich, wo häufig ein Beurteilungsdurchschnitt erreicht werden muss, aber nicht überschritten werden soll und damit jegliche Höherbeurteilung mit einer durch zahlreiche Regeln erschwerten Abstufung gegenfinanziert werden muss, hat sich die Leistungsrückmeldung von der Höhe der Zulage bereits entkoppelt. So ist für (junge) Leistungsträger erst dann mehr Geld verfügbar, wenn Mitarbeiter mit hoher Leistungszulage aus dem Team bzw. Unternehmen ausscheiden. Oft bleibt dann der einzige Ausweg, Höherstufungen in der Tarifgruppe gegen den Widerstand der Personalabteilung durchzusetzen.
Schließlich sollte die Motivation für Führungskräfte, auch schwierige Mitarbeitergespräche zu führen, auf der Hoffnung auf Veränderung basieren. Dies ist jedoch zumindest bei den persönlichkeitsnahen Beurteilungskriterien eher unwahrscheinlich. Energie und Belastbarkeit eines Menschen werden sich ab einem bestimmten Alter kaum noch verändern, auch grundsätzliche Kommunikationsfähigkeiten sind weitgehend stabil. Fachliche Kompetenzen lassen sich selbstverständlich entwickeln, die sogenannten Schlüsselkompetenzen vermutlich weniger. Die Rückmeldung wird also jedes Jahr ähnlich sein.
Performance Management und Leistungsbeurteilung: Diagnose ist klar – und die Therapie?
Maßnahmen, um dieser unbefriedigenden Situation beizukommen, richten sich zum einen auf die Beurteiler, zum anderen auf das Verfahren. Schulungen für Vorgesetzte sind meist der erste Vorschlag, und die Aktivitäten beziehen sich auf Unterstützung bei der Formulierung von angemessenen Zielvereinbarungen, Trainings zum Erkennen von Leistungsunterschieden sowie auf Techniken der Gesprächsführung. Das ist wichtig und hilfreich, bei ohnehin guten Führungskräften meist erfolgreicher als bei den schwachen, löst aber das Grundproblem nicht.
Eine weitere Detaillierung der Beurteilungskriterien in Richtung beobachtbaren Verhaltens bedeutet einen unverhältnismäßig hohen Aufwand, da sie für Job-Familien und -Ebenen jeweils unterschiedlich gestaltet werden müssten und die Komplexität weiter erhöhen. Es wird daher zunehmend auf einfachere Verfahren und Systeme gesetzt.
Beurteilung von Mitarbeitern durch Kalibrierungsrunden
Die Durchführung von Kalibrierungsrunden, in denen Führungskräfte eines Organisationsbereichs die Beurteilungen ihrer Mitarbeiter diskutieren und im Quervergleich abstimmen, wird inzwischen zunehmend praktiziert und als tragfähiger Lösungsweg gesehen, die Beurteilungsgerechtigkeit deutlich zu erhöhen. Allerdings müssen diese Panels vor Mitarbeitergesprächen terminiert werden und verlängern den gesamten Prozess. Zur Verminderung des Aufwands kann geprüft werden, sie mit inhaltlich angrenzenden, im Jahresverlauf stattfindenden Meetings, zum Beispiel Gehaltserhöhungsrunden oder Talent Reviews, zu kombinieren.
Eine weitere Alternative eröffnet sich durch die Vorgabe anzustrebender Verteilungen, das sogenannte Forced Ranking oder die Recommended Distribution. Diese müssen allerdings realistisch sein und sollten nach Bereichen differenziert werden, um den unterschiedlichen Populationen gerecht zu werden. Allerdings sind strikte Verteilungsvorgaben mit erheblichen Rechts- und Reputationsrisiken behaftet, was wahrscheinlich auch der Grund für die eher geringe Verbreitung ist.
Bonus-Pools und individuelle Zielerreichung
Verteilungsvorgaben für die Performance-Bewertung wirken zudem nur bei kriteriengestützten Beurteilungen. Bei Zielvereinbarungen widersprechen sie deren Konstruktionsprinzip. Hier sind zur Kostensteuerung Pool-Modelle vorstellbar, bei denen sich der Wert der individuellen Zielerreichung aus einem nach der Gesamt-Performance festgelegten Topf ergibt. Damit wird die Frage, wieviel insgesamt ausgegeben werden soll, von der Frage entkoppelt, wer wieviel davon erhält.
Um der Falle rechenbarer, im Einzelfall oft ungerechter Bewertungen zu entgehen, bietet sich an, nur das 100%-Ziel zu definieren und positive oder negative Abweichungen der Entscheidung des Vorgesetzten zu überlassen. Allerdings sollte auch hier ein Budget definiert werden, damit letztlich nicht nur die unteren Bewertungen angehoben werden und der Durchschnitt sich weiter erhöht.
Performance Management: Mehr Entscheidungsspielraum für Führungskräfte!
Die verfahrensbezogenen Anregungen laufen alle auf eine Grundsatzentscheidung hinaus: stärkere Quantifizierung und Rechenbarkeit oder mehr subjektiver Entscheidungsspielraum für Führungskräfte. Nach vielen Jahren der Bemühungen um eine stärkere Objektivierung scheint hier das Pendel zu mehr diskretionärem Ermessen von Vorgesetzen zurückzuschwingen.
Führungskräfte können üblicherweise die Leistungsniveaus ihrer Mitarbeiter recht gut einschätzen und sie zumindest in eine Rangfolge bringen. Außerdem schwanken diese Niveaus jährlich nicht sehr stark, sondern entwickeln sich bestenfalls längerfristig. Warum also nicht Zielerreichungen mit einem Anpassungsfaktor versehen, der nicht arithmetisch, sondern summarisch in der Beurteilung festgelegt wird? Oder warum nicht auf Basis einer qualitativen Bewertung von Zielerreichung und Leistungsverhalten eine Zuordnung zu vorgegebenen Leistungsklassen mit unterschiedlichen monetären Konsequenzen vornehmen? Letztlich sind dies Vorschläge zu einem gröberen Raster in der individuellen Performance-Beurteilung, das den Aufwand vermindern und den Nutzen im Interesse einer größeren Differenzierung erhöhen würde.
Abschaffung des individuellen Bonus: radikal ja, aber sinnvoll?
Um den genannten Problemen zu entgehen, haben in den zurückliegenden Jahren zahlreiche Unternehmen den individuellen Bonus abgeschafft. Das Volumen der individuellen Bestandteile wird dabei vollständig oder teilweise in die Grundvergütung integriert und/oder den kollektiven Komponenten zugeschlagen. Damit wird der Bonus zu einem reinen Profit Sharing. Der Aufwand für die finanzielle Seite des Performance-Management-Prozesses wird fast vollständig eliminiert.
Aber ist dieses Vorgehen wirklich zielführend? Angesichts des menschlichen Wunsches, sich zu differenzieren und auch eine monetäre Anerkennung zu erhalten, wird allein ein wohlfeiles Lob durch den Vorgesetzen vielen Mitarbeitern nicht reichen. Ist die individuelle Leistung nicht mehr im Bonus abgebildet, muss sich die weiterhin bestehende Anforderung der Leistungsdifferenzierung umso mehr auf die jährlichen Gehaltsanpassungen verlagern. Im Grundgehalt sind dann nicht nur die Stellenwertigkeit, die Erfahrung, das längerfristige Leistungsniveau und möglicherweise auch das Potenzial zu berücksichtigen, sondern auch noch jahresbezogene Leistungen. Der Spielraum im Rahmen der jährlich freigegeben Budgets muss also deutlich stärker als bisher genutzt werden, weil sonst die Gefahr besteht, Leistungsträger zu verlieren.
Dieser Ansatz scheint aus mindestens einem praktischen und einem systematischen Grund bedenkenswert: Erstens ist durch die Vielzahl der zu beachtenden Faktoren eine kaum beherrschbare Überdeterminierung der Entgeltrunden zu befürchten. Zweitens ist es entgeltpolitisch nicht sinnvoll, temporäre Leistungen im Grundentgelt abzubilden. Hinzu kommt die Erfahrung, dass bereits bisher Spielräume zur Differenzierung bei Gehaltserhöhungen von den Vorgesetzten meist nur ungenügend genutzt wurden. Es bestehen daher Zweifel, ob sich hier zukünftig ein grundsätzlich anderes Bild zeigen wird.
Trennung von Beurteilung und Geld als Chance für das Performance Management
Der Vorteil dieser radikalen Lösung liegt neben der Aufwandsreduzierung in der Entkopplung der Leistungsrückmeldung von finanziellen Konsequenzen und ihrer möglichen, stärkeren Verbindung mit Entwicklungs- und Potenzialgesprächen. Leistung kann offener besprochen werden, sowohl im Positiven, als auch bei kritischen Anmerkungen. Die Währung der Anerkennung muss nicht immer nur Geld sein, und Kritik lässt sich möglicherweise leichter akzeptieren, wenn nicht sofort finanzielle Einbußen drohen.
Außerdem werden Vergütungsentscheidungen bei AT-Mitarbeitern wieder stärker in die Verantwortung der Führungskräfte zurückgeholt, anstatt sie mathematischen Bonusformeln zu überlassen. Es besteht allerdings die Gefahr, dass Zielvereinbarungen und Leistungsbeurteilungen ohne Vergütungskonsequenzen nicht von allen Vorgesetzten mit der Sorgfalt betrieben werden wie zuvor. Da beide Elemente jedoch für den Erfolg des Unternehmens als unverzichtbar betrachtet werden, stellt dies die eigentliche Herausforderung dar.
Fazit: Differenzierung bleibt Daueraufgabe für Führungskräfte
Die Frage, ob sich Leistung und Erfolg finanziell lohnen sollen, ist sicher uneingeschränkt zu bejahen. Dennoch lässt sich im Markt derzeit überraschenderweise zweierlei parallel beobachten: Unternehmen, die nach vielen Jahren mit der individuellen Leistungskomponente in ihrem Bonussystem unzufrieden sind, wollen sie abschaffen. Andere, deren Modell bisher nur aus kollektiven Elementen bestand, wollen sie einführen.
Nach vielen Gesprächen mit HR-Verantwortlichen und Führungskräften scheinen folgende Handlungsempfehlungen sinnvoll:
- Sofern die individuelle Bonuskomponente bewahrt wird, sollte man sie „entfeinern“: Es braucht weniger mathematische Formeln, gröbere Abstufungen, verantwortliches Beurteilen statt schein-objektiver Messungen, mehr diskretionären Entscheidungsspielraum für Vorgesetzte bei einem gleichzeitig höheren Verpflichtungsgrad von Verteilungsvorgaben.
- Entscheidet sich ein Unternehmen für die Abschaffung der individuellen Bonuskomponente, sollten alternative Differenzierungsformen verankert werden: Steuerung der Entgeltrunden, Definition der relevanten Entscheidungsparameter, Zwang zur Streuung bei den Bewertungen, Einführung von Kalibrierungspanels, Budgets und Verteilungsregeln für leistungsbezogene Sonderzahlungen, stärkere Koppelung von Leistungs- und Potenzialeinschätzung mit Entwicklungsmaßnahmen, Karriereplänen und Stellenbesetzungen.
Es führen durchaus mehrere Wege nach Rom, wobei für alle Fälle gilt, die Folgen der entsprechenden Entscheidung sorgsam zu bedenken. Welcher Weg der richtige ist und welche Vergütungsstrategie wirklich passt, muss jedes Unternehmen vor dem Hintergrund seiner Kultur für sich selbst beantworten. Aber eines ist dabei sicher: Differenzierung bleibt eine unvermeidbare Daueraufgabe für Führungskräfte und den diese unterstützenden Personalbereich. Niemand kann diesem Thema entfliehen. Wird es nicht im Bonus gelöst, stellt es sich an anderer Stelle. Eine Führungskraft kann nicht nicht differenzieren!