Im März 2020 wurde – nach intensiver und weitreichender Überarbeitung – der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK) mit seiner aktuellen Fassung im Bundesanzeiger bekannt gemacht. Die neue DCGK-Fassung war für die Handelsblatt Fachmedien GmbH Anlass zur Auflage einer Beitragssammlung unter dem Titel: „Corporate Governance in Deutschland – Der neue Kodex als Impulsgeber“. hkp.com sprach mit Produktmanagerin Alexandra Klein und dem Herausgeber des Werks, Rechtsanwalt und hkp/// group Senior Partner Dr. Jan Dörrwächter.
Frau Klein, Herr Dr. Dörrwächter, was waren die wesentlichen Motive, jetzt einen Sammelband zum Thema Corporate Governance in Deutschland aufzulegen?
Alexandra Klein: Wir erleben derzeit eine hoch dynamische Entwicklung im Thema gute Unternehmensführung und den damit verknüpften Aspekten wie die Besetzung von Vorständen, Unabhängigkeit und Effizienz von Aufsichtsräten, Organvergütung etc. Die Umsetzung der zweiten Europäischen Aktionärsrechterichtlinie in Form von ARUG II und die Verabschiedung des neuen DCGK sind dafür nur zwei, wenngleich überaus starke Belege. Diese Entwicklung wollten wir für eine Bestandsaufnahme nutzen: Wo stehen wir in Deutschland in puncto Corporate Governance?
Dr. Jan Dörrwächter: In den letzten Jahren ist für gute Unternehmensführung am Standort Deutschland viel erreicht worden und dazu hat der DCGK einen wesentlichen Beitrag geleistet. Die Empfehlungen und Anregungen des Kodex werden erhebliche Auswirkungen auf die Praxis haben und erfordern eine eingehende Beschäftigung der Unternehmen mit den neuen Vorgaben. Die Beitragssammlung versteht sich daher als Versuch einer Einordnung und Kommentierung wichtiger Themenbereiche. Sie sieht sich aber auch als Quelle für konkrete Best Practices und Handlungsempfehlungen.
Wie ordnet sich das Werk in das Gesamtportfolio der Handelsblatt Fachmedien ein?
Alexandra Klein: Die Handelsblatt Fachmedien GmbH zählt zu den führenden Anbietern hoch spezialisierter Fachinformationen in den Bereichen Recht, Wirtschaft, Steuern und Unternehmensführung. Mit unseren Produkten begleiten wir die aktuellen Entwicklungen in diesen Themenfeldern und setzen dabei auf die Expertise profilierter Fachleute. So auch in diesem Fall. Besonders interessant erschien uns dabei, den Kodex aus den verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten und den Fokus nicht allein auf die Themenschwerpunkte zu setzen. Wie kommt der Kodex in der Praxis an? Ist er zufriedenstellend reformiert worden? Diese und andere Fragen werden in dem Buch von namhaften Experten eingeordnet und beantwortet.
Mit der Aktualität tuen Sie sich aber naturgemäß schwer…
Alexandra Klein: Sicherlich können wir im Buchbereich nicht so schnell reagieren wie tagesaktuelle Medien. Aber das ist gut so. Es braucht ja auch die kritische Reflexion mit Distanz. Bestimmte Entwicklungen müssen sich erst manifestieren, Erfahrungen gesammelt werden. Und da sind wir – und das sage ich mit allem Stolz – inhaltlich wie zeitlich doch sehr nah am Geschehen. Wenn man bedenkt, dass der Kodex im März bekannt gemacht wurde und unser Titel Mitte August erschienen ist, konnten wir doch sehr schnell reagieren. Zumal wir zunehmend auch auf mediale Ergänzungen setzen wie z.B. unseren wöchentlichen Podcast Fachmedien Fachfragen. Es wird auch eine Folge zum Buch geben.
Herr Dr. Dörrwächter, Sie als Corporate Governance Experte und Herausgeber des aktuellen Werkes, welchen konkreten Handlungsbedarf leiten Sie aus dem neuen DCGK für die Unternehmenspraxis ab?
Jan Dörrwächter: Ich sehe vor allem zwei Schwerpunkte: Zum einen die Unabhängigkeit des Aufsichtsrats und zum anderen die Vergütung des Vorstands. Bei ersterem Thema, bei dem es sich um ein wesentliches Element einer effektiven Unternehmensüberwachung handelt, hat die Kodex-Kommission die Anforderungen deutlich präzisiert und geschärft. Hier kommen auf die Aufsichtsräte erhöhte Prüfungspflichten hinsichtlich der Unabhängigkeit ihrer Mitglieder zu. Aber auch die Empfehlungen zur Vorstandsvergütung sind grundlegend neu gefasst worden.
Welche Änderungen bringt der neue Kodex insbesondere für die Vergütung des Vorstands mit sich?
Jan Dörrwächter: Um nur einige wesentliche Änderungen zu nennen: Der DCGK 2020 führt das Konzept der Ziel-Gesamtvergütung ein, also der Vergütung, die ein Vorstandsmitglied bei 100% Erfüllung der Ziele erhalten soll. Die den Vorstandsmitgliedern gewährte variable Vergütung soll von diesen überwiegend in Aktien der Gesellschaft angelegt oder aktienbasiert gewährt werden. Außerdem sollen Vorstandsmitglieder über die Vergütung erst nach vier Jahren verfügen können. Und schließlich empfiehlt der DCGK 2020 die Vereinbarung von Malus- bzw. Clawback-Klauseln mit dem Vorstand – also von Regelungen, nach denen variable Vergütung unter bestimmten Umständen wieder zurückgefordert werden kann.
Warum ist eigentlich ein so großer Teil des Kodex der Vorstandsvergütung gewidmet? Ist das tatsächlich ein so wichtiges Thema?
Dr. Jan Dörrwächter: Die Vergütung des Vorstands ist immer auch ein Spiegelbild der Unternehmensstrategie und -steuerung. Mit ARUG II und dem neuen Kodex ist dieser Strategiebezug nochmals verdeutlicht worden. Gerade Investoren sehen die Vorstandsvergütung daher auch als Gradmesser dafür, wie ernst es Unternehmen mit ihrer kommunizierten Strategie meinen. Und mit dem neuen „Say on Pay“ sind die Einflussmöglichkeiten der Investoren – und damit auch der Stimmrechtsberater – noch einmal erheblich gestiegen.
Sie sehen das kritisch?
Dr. Jan Dörrwächter: Ich sehe die Möglichkeit einer nicht angemessenen Nutzung dieses Hebels. Insbesondere durch die Verlagerung von relevanten Kompetenzen vom Aufsichtsrat in die Hauptversammlung laufen wir Gefahr, dass die Vorstandsvergütung – wie auch im Übrigen die Aufsichtsratsvergütung – zum Spielball von Investoren wird, die damit einen überaus wirkungsvollen Hebel bei Entscheidungen zu Unternehmensstrategie, Entlastung bzw. Bestellung in die Hand gelegt bekommen haben.
Ist das nicht gut so? Die Hauptversammlung ist doch ein wirksames Korrektiv, um Vergütungsexzesse zu vermeiden?
Dr. Jan Dörrwächter: Da gilt es, genauer hinzuschauen. Grundsätzlich ist gegen eine intensivere Befassung der Aktionäre mit dem Thema Vorstandsvergütung ja nichts einzuwenden. Jedoch handelt es sich bei den Aktionären großer Unternehmen heute hauptsächlich um professionelle Investoren. Diese Gruppe ist stark heterogen und mehrheitlich international geprägt. So stammt weniger als ein Fünftel der Investoren in DAX-Unternehmen aus Deutschland. Und auch die Haltedauern der Beteiligungen kann man nicht immer als langfristig bezeichnen. Umso wichtiger ist ein kontinuierlicher und vertrauensvoller Dialog zwischen Investoren und Unternehmen, auch zum Thema Vorstandsvergütung, im Rahmen des sogenannten Stewardship.
Abschließend noch eine Frage an Sie beide: Wie schwer war es, die relevanten Autoren für ein Mitwirken zu gewinnen?
Alexandra Klein: Wir haben eine sehr große Bereitschaft zur Mitwirkung verspürt. Und das ist bei einem Buchprojekt nicht selbstverständlich. Die Bereitschaft war in jedem Fall auch mit einer hohen Ernsthaftigkeit verbunden. Es ist ja das Eine, die Hand zum Mitwirken zu heben, das Andere tatsächlich und termingerecht zu liefern. Ich darf mich hier insbesondere für die gute Zusammenarbeit mit Herrn Dr. Dörrwächter bedanken, der seine Rolle als Herausgeber an dieser Stelle sehr ernst genommen hat.
Dr. Jan Dörrwächter: Allein die eben diskutierten Punkte zur Vorstandsvergütung signalisieren ja, dass wir wirklich brennende Themen der Unternehmensverfassung aufgreifen – und da ist die Lust am Mitwirken tatsächlich sehr ausgeprägt. Es hat uns natürlich sehr gefreut, mit einem so exzellenten und professionellen Autoren-Team arbeiten zu dürfen.
Vielen Dank für das Gespräch!