Seit nunmehr vier Jahren betreut hkp///group Siemens Energy in der Entwicklung und Umsetzung strategischer HR-Themen. Der Aufbau und die Weiterentwicklung des Comp&Ben-Bereichs war und ist dabei ein wesentlicher Schwerpunkt. Ein Gespräch mit Marc Muntermann, Head of Global Employment & Mobility bei Siemens Energy und David Voggeser, hkp///group Partner, zu den Eckpunkten eines Langstreckenlaufs mit vielen Herausforderungen, aber auch einem erfolgreichen Zieleinlauf.
Herr Muntermann, wenn Sie die Comp&Ben Funktion am Zeitpunkt der Loslösung vom ehemaligen Mutterkonzern Siemens bis heute anschauen: Wie würden Sie den Entwicklungssprung beschreiben?
Marc Muntermann: Unsere Comp&Ben-Landschaft basierte zunächst auf unterschiedlichsten Lösungen und Prozessen. Diese Heterogenität war eine Konsequenz der Ausgliederung aus dem Siemens-Konzern in 2020 sowie diverser Kapitalmarkt-Aktivitäten in den Folgejahren. So galt es zunächst, für die rund 97.000 Beschäftigten in mehr als 90 Ländern Vergütungssysteme, Reward-Prozesse, Bonusprogramme und dazu diverse örtliche IT-Lösungen zu harmonisieren und zu zentralisieren. Die entsprechenden Herausforderungen haben wir u.a. mit hkp///group identifiziert und Stück für Stück bearbeitet. Im Kontrast zur Ausgangslage befinden wir uns heute in einer Comp&Ben-Welt, in der Kernfunktionen zentral gesteuert werden und regionale Teams in allen wesentlichen Kennzahlen und Prozessfragen an die Zentrale berichten. Die wichtigsten Prozesse sind standardisiert und harmonisiert – auch infolge einer weltweit durchgängigen IT-Basis.
War der Wildwuchs wirklich so groß?
Marc Muntermann: Als Spin-off aus einem Traditionskonzern sahen wir uns mit gefestigten, dezentralen Strukturen konfrontiert. So gab es weltweit über 70 Prozesse allein zur regulären Gehaltspflege und über 200 Incentive-Systeme. Ohne durchgängige IT-Landschaft waren die Prozess- und Administrationskosten unverhältnismäßig hoch.
David Voggeser: Zudem waren die Defizite bei Datenaktualität und -qualität nur noch schwer zu kompensieren. Eine hochwertige, einheitlich abgestimmte Unterstützung des Business war kaum umzusetzen.
Was wollte Siemens Energy erreichen? Welche konkreten Ziele wurden definiert?
Marc Muntermann: Als HR-Einheit verstehen wir uns als Partner unseres global geführten Geschäfts. Wir wollten und mussten unseren Beitrag zur Umsetzung der Unternehmensstrategie leisten und dafür die Anforderungen der Geschäftseinheiten umsetzen: globaler Fokus bei hoher Service-Qualität und effizientem Ressourceneinsatz. Dafür brauchte es eine neue Strategie.
David Voggeser: Die neue Comp&Ben Strategie sollte richtigerweise ein Ausfluss der Geschäftsstrategie sein. Das klingt banal, aber in einem Unternehmen, das – wie kann es anders sein – anfangs noch in der Selbstfindung gefangen war, mussten die richtigen strategischen Anker und operativen Handlungsfelder erst identifiziert, in ihrer Bedeutung analysiert und schließlich abgestimmt und kommuniziert werden.
Wie sind Sie vorgegangen?
Marc Muntermann: Gemeinsam mit hkp///group als Begleiter in der Entwicklung und Implementierung der neuen Comp&Ben Strategie haben wir zunächst das Ziel definiert: weg von der länderbezogenen Vergütungswelt, hinein in einen einheitlichen Governance-Rahmen mit einer zentralen IT-Plattform.
David Voggeser: In der Folge wurden durch das gemeinsame Projektteam verschiedene strategische Ansätze für das neue Comp&Ben ausgearbeitet und analysiert. Letztlich hat sich der im Siemens Energy Vokabular als globale Vertikalisierung bezeichnete Ansatz durchgesetzt.
Was genau bedeutet globale Vertikalisierung für die Praxis?
Marc Muntermann: Ein globales Comp&Ben-Governance-Team definiert, entwickelt bzw. optimiert und implementiert die global gültigen Produkte wie Grading, variable Vergütung und deren Prozesse und Tools. In enger Abstimmung mit den lokalen bzw. regionalen Einheiten wurden die dortigen Besonderheiten berücksichtigt.
Dennoch: Die durchgehende Vertikalisierung setzt ein hohes Maß an Standardisierung und damit Investitionen in eine zentrale Tool-Landschaft voraus!
David Voggeser: Das ist so, anders lässt sich eine effiziente Steuerung der globalen Comp&Ben-Welt nicht umsetzen. Es sei aber betont, dass die angestrebte Vertikalisierung bzw. zentrale Governance keine stumpfe, pauschale Zielvorgabe war, sondern dass dieses Steuerungsmodell immer Spielraum für die Abbildung lokaler, regionaler oder auch funktionsspezifischer Besonderheiten bieten sollte, ganz im Sinne des klassischen Freedom within a Frame-Ansatzes. Und natürlich steht hinter jeder Investition ein Business Case, welcher sich entweder über Kosteneffizienz oder höheres Service-Niveau rechnen muss. In diesem Fall wurde sogar beides erreicht.
Marc Muntermann: Mit der Erfahrung der letzten Jahre muss ich sagen, dass sich die Investitionen in die Harmonisierung und Standardisierung gelohnt haben, ebenso wie der Schmerz, liebgewonnene Altlösungen durch ein State of the art Tool abzulösen.
Sonst ließe sich wahrscheinlich ein so umfassender Zugriff auf relevante Daten in der gewünschten Qualität und Aktualität nicht sicherstellen…
Marc Muntermann: Nein, erst recht nicht im Self Service. Und mehr noch: Jetzt haben wir sogar einen Überblick zum Aufwand und können so den Return on Comp&Ben-Investments belegen.
Wie sind Sie bei der Implementierung der neuen Comp&Ben Strategie vorgegangen?
Marc Muntermann: Zunächst wurde ein dezentrales, aber global agierendes Comp&Ben-Team aufgebaut. Hierbei war uns die Nähe zu den Regionen wie auch zu den einzelnen Geschäftseinheiten wichtig. Hinzu kam ein zentrales Team, das primär technische Lösungen, Prozesse und Daten verantwortet. Sobald diese Struktur implementiert war, wurden die Comp&Ben-Prozesse und -Produkte in Abstimmung mit den regionalen Teams als globale Standards mit den notwendigen lokalen Ergänzungen definiert.
Wie profitieren Siemens Energy-Führungskräfte von dem neuen Ansatz?
David Voggeser: Alle Standardisierung, Harmonisierung und Zentralisierung ist nichts, wenn Führungskräfte vor Ort nicht die erforderliche Unterstützung haben. Entsprechend wurde eine Self-Service-Lösung entwickelt, auf deren Basis Manager weltweit einheitlich Vergütungsthemen für Mitarbeitende bearbeiten können. Die sehr benutzerfreundliche Anwendung verknüpft eine Vielzahl von Daten auf einer Oberfläche und stellt so allen Benutzern inklusive den Führungskräfte intuitiv, schnell und zuverlässig die erforderlichen Informationen bereit.
Marc Muntermann: In Summe konnten wir durch die Vertikalisierung einen enormen Mehrwert generieren, da globale Führungskräfte erstmalig alle Comp&Ben-relevanten Prozesse und Daten in Echtzeit bearbeiten konnten.
Lässt sich der Mehrwert auch in Zahlen ausdrücken?
Marc Muntermann: Nehmen wir das Beispiel jährlicher Merit-Prozess, den wir 2023 erstmalig auf Basis des neuen Systems durchgeführt haben, gleichzeitig in über 70 Ländern. Die Rückfragequote betrug nur ein bis zwei Prozent, ohne zusätzliche Unterstützung und Kosten. In der Vergangenheit wurden hier zur globalen Abstimmung noch vielfach Excel-Tabellen in lokaler Währung zusammengetragen.
David Voggeser: Abgesehen vom Aufwand für HR war das Jonglieren mit Excel-Tabellen auch verwirrend, da beispielsweise die Vergütung in lokaler Währung definiert wird. Heute können Manager weltweit im Self Service Gehaltsdaten in Euro direkt umrechnen. Generell lassen sich durch neue Funktionalität und Transparenz deutlich schneller bessere Entscheidungen treffen.
Ist Vertikalisierung Voraussetzung für ein leistungsfähiges Reporting?
Marc Muntermann: Die Verfügbarkeit von HR-Daten wird wichtiger denn je. Ein Beleg dafür sind die für das Nachhaltigkeits-Reporting geforderten Equal-Pay-Analysen, die sich jetzt auf gesicherter Datenbasis und -qualität zeitnah und effizient darstellen lassen. Auch lässt sich heute jederzeit aufzeigen, wie viele Mitarbeitende auf welcher Funktions- oder Managementebene pro Bereich allokiert sind, bei gleichzeitiger Möglichkeit, diese Mengengerüste mit dem Markt zu vergleichen.
Warum ist Benchmarking so ein wichtiges Thema?
David Voggeser: Siemens Energy befindet sich quasi in der permanenten Transformation. Gerade für das Durchspielen strategischer Szenarien leistet Benchmarking einen unschätzbaren Beitrag. Hier sind die hkp///group Studien eine solides Werkzeug, erst recht, wenn es sich um die Verfügbarkeit von verknüpften Organisations-, Performance- und Vergütungsdaten handelt.
Marc Muntermann: Durch die hohe Verfügbarkeit von relevanten Daten in einer leistungsfähigen Tool-Landschaft sind wir auch in der Lage, Entscheidungen der Manager strategisch zu begleiten wie auch die Wirkung von Informationen im Rahmen von wissenschaftlich begleitenden Experimenten zu analysieren.
Was antworten Sie Kritikern des zentralen Governance-Ansatzes?
Marc Muntermann: Mit den oben angeführten Verbesserungen. Unser Geschäft ist global vertikalisiert aufgestellt. Somit muss auch die HR dieser Aufstellung folgen. Für andere Unternehmen mag eine dezentrale Strategie passen; aber bei globalen Playern mit hohem Effizienzfokus sind Harmonisierung und Standardisierung fast unumgänglich.
David Voggeser: Wichtig ist, die lokalen Anforderungen des globalen Business zu verstehen und in ein entsprechend globales Framework aus Produkten, Prozessen und Tools zu übersetzen. Richtig implementiert, profitieren alle Stakeholder von einer solchen Governance.
Kann eine Vertikalisierung in der Steuerung auch für die HR-Funktion Anwendung finden?
David Voggeser: Für Bereiche wie Global Mobility oder Employment Conditions ist der zentrale Steuerungsansatz ebenfalls sinnvoll. Daran arbeiten wir derzeit im Projekt. Aus meiner Sicht gilt: Wenn eine zentrale Ausrichtung von Comp&Ben - als Bereich mit höchsten Anforderungen an Compliance und Employee Experience – funktioniert, sollte dies auch für die gesamte HR-Funktion eine Überlegung Wert sein, erst recht, weil die IT-Anwendungen so stark interagieren.
Worauf sollten Unternehmen achten, die vor ähnlichen Herausforderungen stehen?
Marc Muntermann: Insbesondere die Analyse der Ausgangslage und die Definition eines klaren Zukunftsbildes hat uns extrem geholfen. Mit hkp///group hatten wir hier einen strategischen Partner an der Seite, der auch die Fallstricke der Implementierung durchdringt. Einfach loslaufen, wäre – erst recht aus heutiger Sicht – keine gute Alternative gewesen.
Vielen Dank für das Gespräch!