Für immer mehr Personalbereiche rückt das Thema Funktionsbewertung auf der Agenda sehr weit nach oben - zum einen vor dem aktuellen gesetzlichen Handlungsdruck bei Entgelttransparenz, zum anderen, weil eine schnelle und flexible Funktionsbewertung die Voraussetzung eines dynamischen geschäftsorientierten HR-Managements ist. hkp.com im Gespräch mit den hkp/// group Experten Verena Vandervelt und David Voggeser.
Frau Vandervelt, Herr Voggeser, wie schätzen Sie die aktuellen Entwicklungen rund um das Thema Funktionsbewertung ein?
David Voggeser: Wir beobachten aktuell tiefgreifende Entwicklungen im Markt, getrieben durch gesetzliche wie auch inhaltliche Komponenten. So sind Unternehmen mit Inkrafttreten des Entgelttransparenzgesetzes verpflichtet, vergleichbare Maßstäbe für Positionen einzuführen. Ohne eine entsprechende einheitliche und faire Bewertungsbasis, wie sie ein modernes Grading-System darstellt, ist es aber kaum möglich, zu belegen, dass Stellen unabhängig von Geschlecht, Alter, Hautfarbe oder anderen potenziellen Diskriminierungsfaktoren eingestuft und vergütet werden.
Schreibt das Gesetz vor, welche Systeme zu nutzen sind?
David Voggeser: Nein, aber die Anforderung der Entgelttransparenz ist sehr klar formuliert. Und keine Personalabteilung, schon gar nicht in großen, komplexen Organisationen, kann es sich leisten, bei jeder Anfrage eines Mitarbeiters erst einmal alle relevanten Daten zu sammeln, zu aggregieren, zu prüfen, bevor sie Eingang in einen anfragespezifischen Report finden. Diesem Wahnsinn sollten Personalverantwortliche aus dem Weg gehen, und auf Basis einer modernen Funktionsbewertung ist dies möglich.
Neben dem Nachweis der Gesetzeskonformität: Worin besteht die zweite wesentliche Triebfeder für die Einführung eines modernen Funktionsbewertungssystems?
Verena Vandervelt: Ein weiterer und noch wesentlich stärkerer Treiber besteht in der Notwendigkeit zur Vereinfachung von Funktionsbewertung. Diese Entwicklung hat durch die zunehmende Veränderungsgeschwindigkeit von Organisationen und der Gründung neuer, agiler Start-up Einheiten gerade in den letzten Jahren erheblich an Fahrt gewonnen.
Was bedeutet das konkret?
Verena Vandervelt: Auch wenn es vielleicht abgegriffen und schablonesk klingt: Unternehmen unterliegen heute mehr denn je einem permanenten Wandlungsdruck und müssen sich ständig neu als Organisation formieren. Dafür braucht es agile Methoden, Instrumente etc.
David Voggeser: Hinzu kommt: Besonders innovative Ideen werden häufig nicht mehr innerhalb der Unternehmen weiter verfolgt, sondern in separate und weitgehend autarke Einheiten, so genannten Corporate Start-ups, ausgegliedert. Ähnlich wie eigenständige Start-ups sind diese schnell, agil, innovativ und weisen flache Hierarchien auf. Auch diese Rahmenbedingungen wollen in den HR-Prozessen und -Instrumenten erst einmal abgebildet sein.
Aber wie steht das im Zusammenhang mit Funktionsbewertung?
David Voggeser: Eines ist Fakt: Unternehmen haben keine Lust auf HR-Systeme, die mit den veränderten Anforderungen und der erhöhten Veränderungsgeschwindigkeit nicht Schritt halten können. Wenn die Geschäftsführung ein Unternehmen innerhalb weniger Monate reorganisieren kann, ist die berechtigte Erwartung, dass es nicht Jahre braucht, um die von der Re-Organisation betroffenen Funktionen nachzubewerten. Und gerade in diesem Punkt bestehen erhebliche Defizite bei den aktuell noch führenden Funktionsbewertungssystemen.
Aber die großen Anbieter von Funktionsbewertungssystemen werden sicherlich auch ihre Angebote entsprechend zukunftsfähig aufgestellt haben?
Verena Vandervelt: Nun, die Anbieter können da schlecht aus ihrer Haut und all ihre Systeme und Ansätze einfach verwerfen. Und trotz allem modernen Window-Dressing erweisen sich die bei den gängigen Standardsystemen zur Anwendung kommenden Kriterien nicht nur als zu starr, kompliziert und aufwändig in der Anwendung. Sie kommen teilweise auch zu fragwürdigen Bewertungsergebnissen, die sich angesichts der in immer kürzeren Intervallen einschlagenden organisationalen Veränderungen gar nicht mehr glätten lassen.
David Voggeser: Das stimmt. Sobald sich der quantitative Verantwortungsumfang einer Position hinsichtlich ihrer Umsatz-, Ergebnis- oder Budgetverantwortung ändert, wird sie bei diesen Systemen sofort bewertungsseitig belohnt oder abgestraft…
… obwohl sich an der Bedeutung dieser Position im Unternehmenskontext möglicherweise nichts geändert hat.
David Voggeser: Genau. Was den gängigen Standardsystemen fehlt, ist die Fähigkeit zur Einordnung, ob die Position auch im Rahmen einer Re-Organisation trotz gegebenenfalls gesunkener Umsatzverantwortung nicht eine unverändert hohe strategische Bedeutung hat.
Aber hört sich das nicht nach einem Abgesang auf die Funktionsbewertung an?
David Voggeser: Das Gegenteil ist der Fall! Unternehmen benötigen nach wie vor Strukturen, um HR-Prozesse und -Systeme zu steuern, ganz zu schweigen von den eingangs erwähnten rechtlichen Anforderungen durch die Einführung des Entgelttransparenzgesetzes. Wie für die Unternehmen selbst gilt aber auch hier, dass Schnelligkeit und Agilität gefragt sind, ohne an Durchschlagskraft und Genauigkeit zu verlieren.
Und wie soll das gehen?
Verena Vandervelt: Mit einfacheren Systemen, weniger Bewertungsfaktoren und mit einem ganzheitlichen Blick auf die Funktion. Unser eigenes Funktionsbewertungssystem, hkp/// JET, nutzt im Bewertungsprozess beispielsweise lediglich vier Kriterien: Einfluss, Komplexität, Kommunikation und Kenntnisse. Diese Faktoren sind auf wenigen Stufen skaliert
Und das soll selbst für große Konzerne ausreichend sein?
Verena Vandervelt: Selbstverständlich! Mit einem solchen schlichten Bewertungsraster lassen sich einfachste Tätigkeiten ebenso bewerten wie Top-Management-Funktionen, und das mit einer nachweislich höheren Genauigkeit als es bei den bekannten Standardsystemen der Fall ist. Schlicht heißt ja nicht schlecht!
David Voggeser: Nicht ohne Grund werden wir derzeit gerade von großen, internationalen Top-Unternehmen angefragt. Vor dem Hintergrund des Handlungsdrucks und auch der überzeugenden agilen Funktionalität ist die anfängliche Skepsis gegenüber hkp/// JET als innovativem Funktionsbewertungstool stets binnen kurzer Zeit gewichen. Wenn Grading vom schmerzvollen Mega- oder gar Dauerprojekt zum schlanken Prozess mit nachhaltigem Erfolgsg wird, bekehrt das selbst die treuesten Fans der alten Gradingsysteme recht schnell.
Die Vorstellung, dass Ihr vereinfachtes Verfahren der Stellenbewertung bei Start-up-Unternehmen wie bei Konzernen passt, fällt zugegebenermaßen schwer.
David Voggeser: Das mag sein, ändert aber nichts an dem Fakt. hkp/// JET lässt sich mit identischem Nutzen bei Großkonzernen wie in Start-ups einsetzen. Aber natürlich bestehen auch Möglichkeiten das System noch weiter zu verschlanken.
Verena Vandervelt: Bei sehr kleinen Unternehmen bietet sich beispielsweise ein einfaches, summarisches Ranking an. Bewegt man sich dagegen in agileren Projektorganisationen, kann unter Umständen eine Klassifizierung der Positionen nach Kompetenzen sinnvoll sein. Die Ansätze sind auch miteinander kombinierbar und ermöglichen trotzdem eine vergleichende Einstufung.
Das klingt sehr spannend. Wie geht es zukünftig mit der Funktionsbewertung weiter und vor allem: Was würden sie Unternehmen in der aktuellen Situation raten?
David Voggeser: Angesichts der unter dem verstärkten Wandlungsdruck immer schwerfälligeren und aufwändigeren Bewertung mit den aktuellen Systemen der Marktführer in der Funktionsbewertung muss man kein Prophet sein, um das Ende der klassischen Funktionsbewertung vorauszusagen. Sie bauen sich ja auch kein energieeffizientes Haus, um es dann später mit einem klapprigen Holzofen zu heizen, den sie aufgrund seiner Ineffizienz ständig nachbefeuern müssen. Dementsprechend sollten im digitalen Zeitalter auch überholte HR-Systeme auf den Prüfstand und kurz- bis mittelfristig ausgetauscht werden. Das gilt insbesondere für aus der Zeit gekommene Standardfunktionsbewertungssysteme.
Frau Vandervelt, Herr Voggeser, vielen Dank für diese spannenden Einblicke.