In wirtschaftlich herausfordernden Zeiten wie der aktuellen Coronakrise denken Verantwortliche in Unternehmen häufig eher an Personalabbau als an Mitarbeiterbindung. Dies könnte sich jedoch rächen: Denn auch in der Krise braucht es engagierte High Performer und innovative Treiber. Spätestens wenn die Konjunktur wieder anspringt, werden Unternehmen Probleme haben, die sich nicht oder nicht ausreichend um erfolgskritische Mitarbeitende gekümmert haben. Im Gespräch mit hkp.com berichten die hkp/// group Experten David Voggeser und Frank Gierschmann über den notwendigen Spagat, Personal gleichzeitig auf- und abbauen zu müssen – und dabei vor allem die richtigen Leute zu halten.

Covid-19 hat die Wirtschaft schwer getroffen. Fast alle Unternehmen haben Restrukturierungsprogramme angekündigt, die auch einen Personalabbau beinhalten. Warum ist es dennoch gerade jetzt wichtig über Mitarbeiterbindung zu sprechen?
David Voggeser:
Kaum ein Unternehmen beabsichtigt, in allen Bereichen Personal abzubauen. Selbst in hart getroffenen Branchen wie Tourismus oder die Automobilindustrie sind Unternehmen gefordert, neue strategische Geschäftsmodelle zu entwickeln und Wachstumspotenziale zu erschließen. Die dafür kritischen Talente sind heute und dann perspektisch im Aufschwung genauso gefragt, wie vor der Krise. Es wäre leichtsinnig, sich jetzt von ihnen zu trennen.
Frank Gierschmann: Organisationen stehen vor der Herausforderung, beides zu tun: Einerseits ‚Rightsizing‘ mit Personalabbau in Verwaltung und auslaufenden Geschäftsmodellen, andererseits Personalaufbau und Mitarbeiterbindung in den Geschäftsfeldern von morgen. Wer es hier schafft, seine erfolgskritischen Mitarbeiter mit gezielten Retention-Maßnahmen langfristig an sich zu binden, hat einen klaren Wettbewerbsvorteil.

Viele Organisationen haben im Zuge des Liquiditätsmanagements ihre Budgets gekürzt. Wie können Unternehmen in einem solchen Umfeld trotzdem entsprechende Investionen rechtfertigen?
Frank Gierschmann: 
Unternehmen sollten ihre Ausgaben für Retention als Investition betrachten, die sich sowohl unmittelbar als auch mittelbar rechnet. Die Kosten, die durch den Verlust und den Ersatz eines Mitarbeiters entstehen, entsprechen grob ungefähr einem halben Jahresgehalt. Darunter fallen direkte Kosten, zum Beispiel für die Neubesetzung und Einarbeitung eines neuen Mitarbeiters, genauso wie indirekte Kosten, zum Beispiel für die Vertretung während die Stelle unbesetzt ist sowie für den Wissensverlust. Mit jedem Mitarbeiter, den ein Unternehmen nicht verliert, werden diese Kosten eingespart, da sie gar nicht erst anfallen.
David Voggeser: Und das sind nur die direkten Kosten. Verluste, die dadurch entstehen, dass strategische Geschäftsfelder nicht erschlossen oder Wachstumspotenziale nicht realisiert werden können, wiegen noch schwerer. Natürlich sind manche Unternehmen trotzdem erst einmal dankbar für reduzierte Personalkosten. Das rächt sich aber nach der Krise, wenn es darum geht, am Aufschwung teil zu haben und dann Personal fehlt. Kritische Projekte verzögern sich, Aufträge können nicht bearbeitet werden und zentrale Abteilungen sind unterdimensioniert für die Umsetzung langfristiger Strategien. Wer denkt, er könne dann einfach wieder vom Arbeitsmarkt nachrekrutieren, wird schnell sein blaues Wunder erleben. Im worst case haben die besten Mitarbeiter mittlerweile bei der Konkurrenz angeheuert.

Wo sollten Organisationen ansetzen, die in die Bindung ihrer erfolgskritischen Mitarbeitergruppen und Leistungsträger investieren möchten?
David Voggeser:
In wirtschaftlich guten Zeiten haben Organisationen viel mit Retention-Boni und besonders attraktiven Vergütungszusagen gearbeitet. Wir raten von einem solch pauschalen Vorgehen ab. Erstens ist die Bindungswirkung von Geld in den meisten Fällen nur von kurzer Dauer und zweitens sind die Kosten dafür derzeit schlicht zu hoch.
Frank Gierschmann: Tatsächlich ist die Identifikation der für Mitarbeiterbindung relevanten Treiber oftmals die größte Herausforderung, um ungewollter Fluktuation wirkungsvoll zu begegnen. Von Henry Ford gibt es ein schönes Zitat: „Ich weiß, die Hälfte meiner Werbung ist hinausgeworfenes Geld. Ich weiß nur nicht, welche Hälfte.“ Wer Retention-Maßnahmen nach dem Gießkannenprinzip anwendet, wird das gleiche Problem haben. Wer die Wirkung seiner Maßnahmen maximieren möchte, muss diese gezielt einsetzen. Wir nennen diesen Ansatz das EVER-Prinzip.

EVER im Sinne von Mitarbeiter „for-EVER“ im Unternehmen halten?
Frank Gierschmann: Nicht ganz, aber so ähnlich (lacht). EVER steht für Einordnung, Verständnis, Entwicklung und Realisierung. Die ersten beiden Schritte zielen darauf ab, das Retention-Problem einzuordnen – also zu identifizieren, bei welchen Mitarbeitergruppen aus welchen Gründen ein Bindungsproblem vorliegt. Erst wenn diese beiden Schritte getan sind, macht es Sinn, sich auf die Suche nach geeigneten Gegenmaßnahmen zu machen.

Also die Fluktuation lokalisieren und dann die Gründe identifizieren...
David Voggeser: Genau. Bei der Entwicklung einer Lösung helfen natürlich Best Practices. Letztlich geht es aber darum, den für das Unternehmen und die Zielgruppe passenden Weg zu wählen. Zuletzt folgt die Realisierung der Maßnahmen und die Messung des Erfolgs. Dafür müssen Organisationen ihre ungewollte Fluktuation übrigens dauerhaft tracken und beobachten. Ob eine Maßnahme wirkt, sieht man nämlich erst nach 6 bis 12 Monaten.

In Anbetracht der Herausforderungen der Krise klingt das ziemlich aufwändig.
Frank Gierschmann:
Nicht, wenn man hier strukturiert vorgeht und mit den richtigen, also wirkungsvollsten Instrumenten arbeitet. Um Organisationen bei der Lösung ihres Retention-Problems zu unterstützen, haben wir die hkp/// group Retention Management Toolbox entwickelt. Ein praxiserprobter Ansatz, der Organisationen hilft, durch alle vier Phasen eines Projekts zur Mitarbeiterbindung zu navigieren. Gerne bieten wir hierzu ein individuelles Beratungsgespräch an.

Herr Voggeser, Herr Gierschmann vielen Dank für das Gespräch!

Autor David Voggeser

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