Die Vergütung des Top-Managements hat sich in den letzten Jahren zu einem Dauerbrenner in der öffentlichen Diskussion entwickelt, in Deutschland, in der Schweiz – eigentlich in allen führenden Industrienationen. Geführt wird die Debatte dabei oft leidenschaftlich, aber selten auf Basis von Fakten. Eine neue hkp/// group Studie mit dem Titel „Vorstandsvergütung DAX 2006 – 2016: Vorurteile und Fakten“ will hier einen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion leisten. Die hkp/// group Expertinnen und Studienautorinnen Regine Siepmann und Nina Grochowitzki erläutern die wesentlichen Hintergründe und Ergebnisse ihrer Analyse.
Frau Siepmann, Frau Grochowitzki, die Hauptversammlungssaison ist vorbei und damit auch die heiße Phase der Diskussion von Vorstandsbezügen. Was sind die Gründe für Ihre aktuelle Studie zu den Vorstandsvergütungen in DAX-Unternehmen?
Regine Siepmann: Anders als bei unseren auf Jahresbasis meist im Frühjahr durchgeführten Analysen zur Vergütung des Vorjahres betrachten wir in der neuen Studie den Zeitraum seit Inkrafttreten des Gesetzes über die Offenlegung der Vorstandsvergütungen, des sogenannten VorstOG. Wir geben also einen tiefen Einblick in die Entwicklungen zur Vorstandsvergütung über die zurückliegenden elf Jahre. Das ist in dieser Form und Qualität neu.
Nina Grochowitzki: Uns ist natürlich bewusst, dass wir mit unserer Analyse genau in den Bundestagswahlkampf stoßen, der auch immer wieder das Thema Manager-Vergütung publikumswirksam aufgreift. Die durch das Studienteam ermittelten Ergebnisse und getroffenen Aussagen helfen in der faktenbasierten Unterscheidung von Mythos und Wahrheit. Sie leisten somit einen wichtigen Beitrag zur Versachlichung der Debatte.
Glauben Sie, dass Sie gehört werden? Die Meinungen zur Manager-Vergütung in Deutschland scheinen doch recht festgefahren…
Nina Grochowitzki: Und genau das ist das Problem. Wir haben ja den Beginn der von uns analysierten Datenreihe nicht zufällig gewählt. Seit Inkrafttreten des VorstOG und mit den folgenden gesetzlichen Regelungen sowie der Vorgaben des Deutschen Corporate Governance Kodex verfügt Deutschland mittlerweile über eine international beispielhafte Transparenz in Sachen Vorstandsvergütung. Das kann nicht oft genug betont werden. Es liegen alle wichtigen Informationen vor; sie sollten verantwortungsvoll genutzt und nicht ignoriert werden.
Regine Siepmann: Wir befinden uns seit geraumer Zeit im Dialog mit den relevanten Akteuren und Multiplikatoren, auch im politischen Bereich, mit Verbänden etc. Dabei sehen wir schon eine Veränderung, weg von einer bewussten Rhetorik des gefühlt Richtigen hin zu einer faktenbasierten Argumentation. Aber speziell im Wahlkampf ist es gerade für Politiker schwer, sich der Stimme des Volkes zu entziehen und gängige Vorurteile nicht zu bedienen.
Genau diese Vorurteile bzw. deren Widerlegung bilden das inhaltliche Grundgerüst Ihrer aktuellen Analyse. Welches Ergebnis haben Sie als das überraschendste wahrgenommen?
Nina Grochowitzki: Vorurteil Nummer eins ist die Wahrnehmung, dass die Vorstandsbezüge in den letzten Jahren massiv gestiegen seien. Auf Basis der Datenreihen zeigt sich aber, dass zumindest seit 2006 nur moderate Zuwächse bei der Vorstandsvergütung in den DAX-Unternehmen zu verzeichnen sind. Die ermittelte Steigerung der durchschnittlichen CEO-Bezüge im DAX von 2,4 % pro Jahr widerlegt die These der Maßlosigkeit.
Regine Siepmann: Die Bruttolöhne und -gehälter der Arbeitnehmer sind im selben Zeitraum in ähnlicher Dimension gestiegen, laut Statistischem Bundesamt um 2,3 % p. a. Aber natürlich wuchsen die Vorstandsbezüge von einem für die über 40 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland unbestreitbar hohen Niveau aus. Doch wir reden von den 30 Spitzenpositionen der deutschen Wirtschaft. Und selbst deren Vergütungen stiegen im Betrachtungszeitraum moderat; und nichts spricht dafür, dass sich dies in Zukunft grundlegend verändern wird.
Aber die Vergütungen erreichen Dimensionen von 10 Millionen und mehr… Das ist doch auffällig!
Regine Siepmann: Es sind natürlich die Ausreißer, die auffallen, selten der Durchschnitt. Sie werden in der Diskussion gegen alle ins Feld geführt, obwohl die meisten Vorstände deutlich weniger verdienen. Aber selbst in dieser Frage können wir auf Basis der Fakten Klarheit schaffen: Die große Mehrheit der Unternehmen gewährte ihren Vorstandsvorsitzenden im Betrachtungszeitraum eine Direktvergütung von unter 6 Mio. Euro.
… was immer noch ein außerordentliches Vergütungsniveau darstellt.
Nina Grochowitzki: Ja, aber es kann nicht oft genug betont werden: Wir sprechen hier über die wenigen Spitzenpositionen der deutschen Wirtschaft, über eine eigene Liga mit beinharten Anforderungen, denen sich selbst die Besten nur begrenzt stellen. Die Verantwortung für mehrere zehn- oder sogar hunderttausende Arbeitsplätze, der permanente Entscheidungsdruck und nicht zuletzt die fast vollständige Aufgabe eines Privatlebens sind ein Preis, den nicht jeder zahlen will oder kann. Da lebt es sich auf tieferen Management-Positionen zum Teil wesentlich komfortabler…
Sie analysieren in Ihrer Studie auch die Manager-to-Worker Ratio, konkret das Verhältnis von CEO-Vergütung zum durchschnittlichen Mitarbeiterlohn in einem Unternehmen. Ist diese Kennzahl ein taugliches Konzept?
Regine Siepmann: Sie ist eine Kennzahl, um Entwicklungen in einem Unternehmen über Jahre hinweg zu analysieren. Aber sie taugt nicht als unternehmensübergreifend genutzte oder pauschal definierte Größe. Vor dem Hintergrund der Heterogenität der Unternehmen – nicht nur im DAX, sondern auch mit Blick auf die vielen tausend Unternehmen darüber hinaus – ist die Forderung, eine solche Kennzahl fix zu setzen, ob nun bei dem 20- oder 50-fachen, sinnlos.
Weil man die berühmten Äpfel mit Birnen vergleicht?
Regine Siepmann: In der Tat. Zudem ist die Manager-to-Worker Pay Ratio sehr volatil – eben weil die Vorstandsvergütung von unterschiedlichen Erfolgsfaktoren abhängt, die Jahr für Jahr ein anderes Gesicht haben.
Nina Grochowitzki: Deshalb kann auch keine Rede davon sein, dass die Schere zwischen Vorstands- und Mitarbeitervergütung generell weiter aufgeht. Sie öffnet sich mal mehr und geht auch wieder zurück. Das hängt unter anderem auch damit zusammen, dass Mitarbeitervergütungen nahezu ohne variable Elemente hoch zeitstabil sind, während Vorstandsbezüge von Jahr zu Jahr erheblich schwanken.
Regine Siepmann: In guten Geschäftsjahren wird die Relation daher methodenimmanent immer größer, in schlechten Jahren sehen wir eine kleinere Manager-to-Worker Pay Ratio.
Wie lautet Ihr Fazit zur Studie?
Regine Siepmann: Die Situation der Vorstandsvergütung in Deutschland ist aus Expertensicht insgesamt alles andere als dramatisch. Viele der gängigen Vorurteile, die auch im aktuellen Wahlkampf immer wieder angeführt und als die eine Wahrheit verkündet werden, können im nüchternen Fakten-Check schlicht nicht bestehen.
Nina Grochowitzki: Natürlich gibt es auch in der Vorstandsvergütung in Deutschland Verbesserungspotenzial, das ist unstrittig. Und Kritik muss erlaubt sein. Doch sie sollte Maß und Mitte zum Inhalt haben. Lancierte Vorurteile erfüllen dieses Kriterium nicht.
Frau Siepmann, Frau Grochowitzki, vielen Dank für das Gespräch.