Die Umsetzung der zweiten europäischen Aktionärsrechterichtlinie im Aktiengesetz durch das Aktienrechts-Änderungsgesetz 2019 (AktRÄG) in Österreich bringt vielerlei Neuerungen für die anstehende Hauptversammlung mit sich. So ist in diesem Jahr zum ersten Mal über die Vergütungspolitik für Vorstand und Aufsichtsrat abzustimmen. Zu den ersten Erfahrungen in der Umsetzung des AktRÄG äußern sich die hkp/// group Experten Dr. Pia Lünstroth und Dr. Jan Dörrwächter.
Frau Dr. Lünstroth, Herr Dr. Dörrwächter, wie fällt Ihre erste Einschätzung mit Blick auf die Umsetzung des AktRÄG aus?
Dr. Jan Dörrwächter: Die Vorbereitungen für die diesjährige Hauptversammlungssaison gehen in die heiße Phase. 21 Tage vor der Hauptversammlung ist die Vergütungspolitik, also das eigentliche Vergütungssystem, nach § 78a AktG auf der Homepage zu veröffentlichen. Ein paar wenige Unternehmen mit einem frühen regulären Hauptversammlungstermin mussten schon aus der Deckung kommen und ihre Vergütungspolitik vorlegen.
Dr. Pia Lünstroth: Die meisten Unternehmen führen ihre Hauptversammlung im April oder Mai durch, einige wenige im März oder noch früher. Als erstes ist die EVN mit Hauptversammlung am 16. Januar gestartet und hat die erste Aktionärsabstimmung, das sogenannte „Say on Pay“, nach AktRÄG mit einer Zustimmung von 99,87% bestanden. Damit wurde die erste österreichische Vergütungspolitik angenommen.
Allerding ist die EVN nur zu rund einem Fünftel in Streubesitz…
Dr. Pia Lünstroth: Die Besitzverhältnisse sind nicht nur in dieser Abstimmung ein entscheidender Fakt. Auch in diesem Fall sicherten die Ankeraktionäre einmal mehr mit ihren Stimmen die Mehrheit.
Sehen Sie einen Unterschied für Unternehmen mit größerem Streubesitz?
Dr. Jan Dörrwächter: Eindeutig, ja! Für diese Unternehmen ist die investorenfreundliche Beschreibung des Vergütungssystems in der Vergütungspolitik von zentraler Wichtigkeit. § 78a AktG macht zwar zahlreiche Vorschriften zu den anzugebenden Information. Allerdings handelt es sich bei der Vergütungspolitik in erster Linie nicht um ein rechtliches Dokument, sondern vielmehr um ein Mittel zur Kommunikation mit den Investoren und ihren Stimmrechtsberatern.
Worauf sollten Unternehmen unter diesem Gesichtspunkt besonders achten?
Dr. Pia Lünstroth: Es geht um die klare Darstellung, die das einfache Verständnis komplexer Sachverhalte unterstützt. Es mag an dieser Stelle auch etwas lehrerhaft klingen. Aber tabellarische Übersichten und Grafiken erleichtern das Verständnis so wichtiger Angaben sehr. Auch sollten einzelne Themen und Stichworte aus den Abstimmungsrichtlinien der Investoren und Stimmrechtsberater hinreichend deutlich hervorgehoben werden.
Welche sind dabei aus Ihrer Sicht die wichtigsten?
Dr. Pia Lünstroth: Das sind vor allem Malus und Clawback oder auch Aspekte des Umweltschutzes, der gesellschaftlichen Verantwortung etc. – sprich die sogenannten ESG-Kriterien. Daran führt heute kein Weg mehr vorbei.
Stichwort Clawback: Müssen nach den neuen Vorschriften im Aktiengesetz alle Unternehmen entsprechende Klauseln in die Vorstandsverträge aufnehmen?
Dr. Jan Dörrwächter: Nein, nach § 78a (4) AktG sind, sofern vorhanden, Informationen zur Möglichkeit, variable Vergütungsbestandteile zurückzufordern, anzugeben. Einen Zwang zur Vereinbarung solcher Klauseln enthält das Aktiengesetz nicht. Allerdings erkennt das Gesetz das Vorhandensein solcher Klauseln nun an.
Letztlich erwarten auch Investoren vielfach eine Clawback-Klausel in den Vorstandsverträgen. Diese Erwartungshaltung erzeugt doch schon Druck genug, oder?
Dr. Jan Dörrwächter: Der Druck durch die Investorenseite ist zweifelsohne gegeben. Aber eine Clawback-Klausel sollte davon möglichst unberührt, mit Augenmaß und abgestimmt auf das konkrete Vergütungssystem sowie die Situation des Unternehmens formuliert werden. Von Schnellschüssen, Pauschal- oder Einheitslösungen raten wir ab.
Wird das AktRÄG das intendierte Ziel einer stärkeren Mitsprache der Aktionäre bei der Vergütung des Vorstands erreichen?
Dr. Pia Lünstroth: Die Abstimmung zur Vergütungspolitik ist ein beratendes Votum. Allerdings wird der faktische Einfluss der Aktionäre auf die Vergütung des Vorstands zunehmen. Lehnen die Investoren das Vergütungssystem ab, muss der Aufsichtsrat auf der nächsten Hauptversammlung ein überprüftes, nicht notwendigerweise überarbeitetes System vorlegen.
Dr. Jan Dörrwächter: Und auch Ankeraktionäre helfen hier nur bedingt, da einige Investoren- und Stimmrechtsberater diese bei den Abstimmungsergebnissen rausrechnen und ab einer Ablehnung von mehr als 20% eine Nachbesserung erwarten.
Frau Dr. Lünstroth, Herr Dr. Dörrwächter, vielen Dank für das Gespräch.
Service-Hinweis: Checkliste Vergütungspolitik AktRÄG
Experten der hkp/// group haben eine Checkliste zur vollständigen Abarbeitung der für die gesetzeskonforme Umsetzung der zweiten europäischen Aktionärsrechterichtlinie notwendigen Maßnahmen im Rahmen des österreichischen Aktienrechts-Änderungsgesetzes 2019 (AktRÄG) erarbeitet. Die relevanten Punkte stehen als hkp///plus Artikel und in druckfreundlicher Form auch als PDF zum Download bereit.
Gerne stehen die Experten der hkp/// group auch für persönliche Gespräche zu den Stolpersteinen bei der Erstellung einer professionellen Vergütungspolitik und den diesbezüglichen Herausforderungen in der Abstimmung auf der bevorstehenden Hauptversammlung zur Verfügung.