Die aktuelle Wirtschaftskrise wird ihre Spuren in den Vergütungen des Top-Managements hinterlassen. Erste Belege dafür sind Verzichte von CEOs und/oder ganzen Boards von Unternehmen europaweit auf Teile ihrer Vergütung. hkp.com im Gespräch mit den hkp/// group Experten Verena Vandervelt und Michael H. Kramarsch zur Einordnung dieser Maßnahmen und einen Ausblick auf die Entwicklung der Top-Management-Vergütung in 2020.
Frau Vandervelt, Herr Kramarsch, halten Sie Vergütungsverzichte des Top-Managements für ein probates Mittel in der aktuellen Krisensituation?
Michael H. Kramarsch: Eindeutig ja, nur vor einem anderen Hintergrund als vielfach angenommen: Vorstandsvergütung ist kein ökonomisches Thema. Kein Unternehmen wird durch derartige Selbstbeschränkungen seiner Top-Manager von einer Krisensituation genesen. Dafür sind die absoluten Werte schlicht zu gering. Aber es ist ein Signal in den Markt und in erster Linie auch an die Mitarbeiter. Es besagt: Wir sitzen alle im selben Boot und ziehen an einem Strang, um die Herausforderungen dieser Krise zu bewältigen! Top-Manager fühlen sich verpflichtet, einen Beitrag zu leisten, weil sie den Mitarbeitern ökonomische Bürden auferlegen.
Wie weitreichend sind denn die Gehaltsverzichte?
Michael H. Kramarsch: Wir sehen in der Regel Entscheidungen, mehrere Monate lang auf 10 bis 30 Prozent des Grundgehalts zu verzichten – und diese Beträge entweder im Unternehmen zu belassen oder zu spenden. Es gibt aber auch Manager, die deutlichere Einschnitte von bis zu 50 Prozent des Grundgehalts vorgenommen haben. In einigen Unternehmen verzichten Manager zudem auf die einjährige variable Vergütung für das Geschäftsjahr 2020.
Gilt dieses Reaktionsmuster für Unternehmen weltweit?
Verena Vandervelt: Ja, diese Reaktionen sind in der Tat weltweit zu beobachten, wobei wir zunächst europäische Firmen, konkret die in den Börsenindices STOXX Europe 50 und EURO STOXX 50 notierten Unternehmen, auf ihre entsprechenden Reaktionen hin untersucht haben.
Mit welchen Ergebnissen?
Verena Vandervelt: Bislang haben aus dem Kreis der STOXX-Unternehmen im Kontext der Covid-19-Pandemie rund ein Drittel entsprechende Vergütungsverzichte vorgesehen, wobei diese vorrangig aus den stärker betroffenen Industrien stammen, weniger aus den Branchen Gesundheitswesen oder IT & Technology. Bei den Ländern sehen wir die meisten entsprechenden Maßnahmen bei STOXX-Unternehmen aus Frankreich, Deutschland und Großbritannien.
Michael H. Kramarsch: Diese Muster lassen sich aber auch über die STOXX-Welt hinaus nachvollziehen: So haben allein in Deutschland Geschäftsleitungen von mehr als 20 Unternehmen zugesagt, mehrere Monate lang bis zu einem Drittel des Grundgehalts aufzugeben. Darunter sind renommierte Unternehmen wie Adidas, Beiersdorf oder die Deutsche Bank.
Gibt es auch Länder, in denen diesbezüglich eher Zurückhaltung geübt wird?
Michael H. Kramarsch: Es gibt Unterschiede. Beispielsweise sehen wir in der Schweiz und in Österreich aktuell noch eine geringere Bereitschaft. Aber das ist nach unserer Einschätzung eine Frage der Zeit. Aus der Beratungspraxis wissen wir, dass viele Boards auf entsprechende Maßnahmen vorbereitet sind. Ob und wann dann der Schritt erfolgt, hängt von der spezifischen Situationen ab, wie stark das Geschäft leidet, wie sehr Kosteneinsparungen bei Mitarbeitern notwendig sind etc.
Was halten Sie von der Argumentation, dass ein Vergütungsverzicht letztlich nur Investoren zugute käme?
Verena Vandervelt: Daran ist ja nichts schlimmes! Letztlich werden Investoren aber härter von Dividendenausfällen getroffen. Wie schon erwähnt: Vergütungsverzichte sind nicht vorrangig ökonomisch motiviert und bewegen sich in Betragsdimensionen, die zumindest institutionelle Investoren gleichgültig lassen. Es geht vielmehr um öffentlich ausgedrückte Solidarität mit der eigenen Belegschaft.
Michael H. Kramarsch: Dabei sei aber nicht unterschlagen, dass auch Investoren sehr genau auf entsprechende Maßnahmen schauen und ein Handeln im Sinne von Pay-for-Performance goutieren.
Vor dem Hintergrund der thematisierten Vergütungsverzichte: Werden wir in 2020 deutlich geringere Vergütungsniveaus für CEOs in Europa sehen?
Verena Vandervelt: Definitiv ja – nicht nur in Europa, sondern weltweit und insbesondere in Unternehmen, die stark unter den Folgen der Krise leiden. Aber: Es sind nicht allein die Vergütungsverzichte, die dafür als Ursache in Frage kommen, sondern auch staatliche Auflagen an Vergütungsobergrenzen, sofern Unternehmen auf öffentliche Gelder angewiesen sind.
Ein Mechanismus, den wir aus der letzten Finanzkrise kennen…
Verena Vandervelt: Die Obergrenze für die Top-Management-Vergütung in den betroffenen Unternehmen betrug beispielsweise in Deutschland damals eine halbe Million Euro. Diese Forderung wird im aktuellen Kontext erneut diskutiert.
Michael H. Kramarsch: Lassen sie mich aber eines klarstellen: Vergütungsverzichte und verordnete Vergütungsobergrenzen sind nur eine Seite der Medaille. Noch stärker in den Vergütungsniveaus werden sich die vielfach stark rückläufigen oder gänzlich ausfallenden variablen Bezüge aufgrund schlechterer Geschäftsergebnisse niederschlagen. Die Covid-19-Pandemie wird damit zu einem Lackmustest der in den letzten Jahren erfolgten Professionalisierung der Vergütungssysteme für das Top-Management.
Vielen Dank für das Gespräch!