HR muss stärker denn je einen Beitrag zum Geschäftserfolg leisten und sich als strategischer Partner des Business verstehen, das immer mehr Agilität einfordert und neue Wertschöpfungsmuster entwickelt. Passt da ein mehrere Jahrzehnte altes Organisations-Modell noch ins Bild? Grundsätzlich ja, aber auf die richtige Umsetzung kommt es an, meinen die hkp/// group ExpertInnen Andrea Sattelmayer und Marc Popic.
Frau Sattelmayer, Herr Popic, was sind die aktuellen Schmerzpunkte in der Aufstellung der HR-Funktion in den meisten Unternehmen?
Marc Popic: Digitalisierung, komplexe Markt- und Wettbewerbsdynamiken, der Klimawandel und gestiegene Kundenanforderungen treiben die Geschäftswelt in eine tiefgreifende Veränderung, die vielfach als permanentes Unruhemoment empfunden wird. Und seit 2020 kommt noch die COVID19-Pandemie mit ihren vielfältigen Herausforderungen hinzu. Spätestens seit diesem Zeitpunkt ruht auch HR nicht mehr in einer sicheren Komfortzone.
Wie definieren Sie Komfortzone – muss sich HR organisatorisch neu aufstellen?
Andrea Sattelmayer: Die genannten Treiber sorgen vielfach auch schon für Bewegung – die entweder als Motivation für den Aufbruch oder als Last verstanden wird. Allerdings erweist sich in der Praxis nach wie vor das Drei-Säulen-Modell aus Business Partner, Center of Excellence und Service Center als organisationaler Mainstream. Die Begrifflichkeiten des über 20 Jahre alten Modells mögen sich im konkreten Unternehmenskontext unterscheiden, die grundsätzlichen Rollen sind in den meisten Fällen jedoch vergleichbar. Diesen vermeintlichen Hort der Sicherheit gilt es, auf den Prüfstand zu stellen.
Gehört das Drei-Säulen-Modell wie der Aktenordner schon der Vergangenheit an?
Marc Popic: Ich würde das nicht so absolut sehen. Das Modell ist unverändert aktuell – wenn es weitergedacht und konsequent auf die neuen Herausforderungen ausgerichtet wird. Und dass es einer Aktualisierung bedarf, zeigt die Kritik, der es als Ganzes oder in seinen Teilen von unterschiedlichen Seiten ausgesetzt ist.
Welche Punkte werden besonders kritisiert?
Marc Popic: Führungskräfte kritisieren in der Regel, dass HR Business Partner ihre Herausforderungen nicht verstehen und dem Anspruch, strategische Begleitung und Support zu bieten, vielfach nicht gerecht werden. Die Business Partner selbst sehen sich häufig mit zu viel administrativen Kleinklein belastet, als dass sie ihrer strategischen Verantwortung gerecht werden könnten.
Andrea Sattelmayer: Gleichzeitig werden die Experten in den Centers of Excellence als dem Business entrückt wahrgenommen, und die Kollegen in den Service-Einheiten fühlen sich zu wenig wertgeschätzt.
Sind das nicht verschiedene Perspektiven auf einen identischen Kritikpunkt?
Marc Popic: So ist es. Grundsätzlich geht es um die Kritik von Führungskräften und Mitarbeitern, die über praxisferne und kaum nachvollziehbare HR-Prozesse und -Instrumente klagen.
Andrea Sattelmayer: Und letzten Endes wirkt jede Rolle in ihrem Silo, ohne ausreichend auf die anderen zu schauen und konstruktiv einen gemeinsamen Wertbeitrag im Sinne der Kunden von HR zu liefern.
Aber diese Einwände lassen sich nicht ohne weiteres vom Tisch fegen. Ist das bisherige vorherrschende Modell nicht mehr tragfähig?
Marc Popic: Im Kern geht es darum, Geschäftsverantwortlichen, Führungskräften und Mitarbeitern einen echten Support mit einem überzeugenden Mehrwert zu bieten – und das so nutzenorientiert wie nur möglich. Dazu muss neu gedacht werden, wie die Rollen jeweils aussehen und wie sie im Sinne der Kunden zusammenspielen.
Andrea Sattelmayer: In der Tat sollten die internen Kunden von HR mit ihren Anforderungen und Nutzenerwartungen als der entscheidende Orientierungspunkt bei der Neu- oder Weiterentwicklung eines HR Geschäftsmodells dienen.
Sie sprechen von Customer Centricity…
Marc Popic: Bei aller Realisierung von Effizienzgewinnen durch Standardisierung von HR-Prozessen und durch Automatisierung: Der Kunde darf dabei nicht aus den Augen geraten. Denn operative Exzellenz realisiert sich nur im Einklang von Zeit, Geld – und Qualität.
Andrea Sattelmayer: Und Qualität zeigt sich vor allem im Auge des Mitarbeiters, der beispielsweise einen Urlaubsantrag stellen will, oder der Führungskraft, die die Beförderung einer Mitarbeiterin auf den Weg bringen möchte.
Sie stellen vor allem die Rolle der Service Center und Center of Excellence auf den Prüfstand. Aber wie sieht es mit der dritten Säule aus – ist der Business Partner das Hochamt der HR-Funktion?
Marc Popic: Das ist eine sicherlich überzeichnete Rolle, aber sie gefällt mir! Erst im Teamplay mit den anderen HR-Rollen gewinnen Business Partner Freiraum, um die wichtigen Fragen aus Sicht ihrer Kunden mit Weitblick anzugehen. Dazu ist es unerlässlich, die unternehmerischen Herausforderungen der Kunden zu verstehen, also auch in Strategien, Businessplänen und Kennzahlen denken zu können. Und es braucht ein umfassendes Verständnis der Personalarbeit – von der großen Linie bis zu den operativen Details.
Andrea Sattelmayer: Dazu reicht es nicht aus, einem Personalleiter neue Visitenkarten zu drucken, auf denen er als Business Partner ausgewiesen wird. Jeder Business Partner muss umfassend für seine Aufgabe vorbereitet und qualifiziert werden. Idealerweise hat ein Business Partner auch einmal in einer Service-Einheit und einem Center of Excellence gearbeitet und/oder selbst einmal in der Linie Geschäftsverantwortung getragen.
Ist eine vierte HR-Rolle, wie sie manche Unternehmen aktuell diskutieren oder schon abbilden, für operative Führungskräfte zwingend notwendig?
Marc Popic: Wenn sich Business Partner vorwiegend auf die strategische Beratung des Managements konzentrieren, bleibt weniger Zeit, um die nachgeordneten Führungskräfte zu begleiten. Um auch hier eine qualitaitv hochwertige Unterstützung sicherzustellen, bietet es sich an, spezialisierte Teams vorzusehen. Ob es hierfür eine vierte HR-Rolle braucht – diskutiert werden Begrifflichkeiten wie HR Solution Experts – oder diese Aufgabe einer der bestehenden Rollen, typischerweise dem Service Center, zuordnet wird, spielt eine untergeordnete Rolle.
Andrea Sattelmayer: Das sollte vornehmlich unternehmensspezifisch beantwortet werden. Hauptsache, die Business Partner behalten ihren Fokus auf die strategische Beratung der Geschäftsverantwortlichen und die operativen Führungskräfte erhalten den gewünschten Support in Führungsfragen.
Überraschenderweise immer noch kein one size fits all?
Andrea Sattelmayer: Wie die personalwirtschaftliche Wertschöpfung im Kontext von Führungskräften, Business Partnern, Centers of Excellence und Service Centern am besten organisiert sein sollte, hängt immer vom Unternehmen ab – von dessen Strategie und Business-Agenda, von Strukturen und Prozessen und von den Unternehmenswerten.
Marc Popic: Bei der Gestaltung der HR-Organisation geht es primär nicht um organisatorisch-technische Herausforderungen, sondern um Menschen: wie sie Hand in Hand arbeiten, wie sie die personalwirtschaftlichen Leistungen und ihre Arbeitswelt erleben. Erst wenn wir die HR-Organisation vom Individuum her denken, bieten wir ein Umfeld, in dem Führungskräfte kreativ und produktiv sein können und in dem sie sich wohlfühlen.
HR dreht sich eben nicht um HR…
Marc Popic: … sondern ums Geschäft, wie Dave Ulrich uns allen ins Stammbuch geschrieben hat. Das nach ihm benannte HR-Organisationsmodell ist im Grundsatz zukunftsfähig, wir müssen es nur auf unsere neuen Herausforderungen ausrichten und gezielt weiterentwickeln.
Frau Sattelmayer, Herr Popic, vielen Dank für das Gespräch!