Von starren Regeln in Form von Forced Distributions und fixen Terminen bis zur Abschaffung sämtlicher Prozesse und Verpflichtungen – die einzige Gemeinsamkeit von Performance-Management-Systemen scheint aktuell, ihr hoher Grad an Individualität und Passung zur jeweiligen Organisation zu sein. hkp.com im Gespräch mit den hkp/// group ExpertInnen Karolin Schaper und Frank Gierschmann.
Frau Schaper, Herr Gierschmann, wir blicken derzeit auf eine sehr heterogene Performance- Management-Landschaft in Unternehmen. Was sind die Hintergründe dafür?
Frank Gierschmann: Lassen Sie mich mit einer Anekdote einsteigen. Vor einigen Jahren meinte ein Personalleiter zu mir, dass die Entwicklung eines Performance-Management-Prozesses eigentlich völlig einfach seit: Man kaufe eine HR-IT-Suite und folge den Konfigurationsschritten, bis das System fertig designt und implementiert ist, inklusive Follow-up in Entwicklung und Vergütung. Tatsächlich wurden derartige Ansätze vielfach verfolgt und mit Verweis auf die Grenzen des IT-Systems in Organisationen durchgeschoben. Heute höre ich solche Stimmen gar nicht mehr.
Sondern?
Frank Gierschmann: Aktuell versuchen Personalmanagerinnen und -manager häufig, recht unterschiedliche Stakeholder-Perspektiven unter einen Hut zu bekommen. Dabei erreicht sie der Ruf von Führungskräften nach mehr Flexibilität in weniger rigiden Prozessen und einer besseren Einbettung in ihren Führungsalltag – das Performance Management soll ja eine Unterstützung in der Führungsrolle darstellen. Außerdem soll es nicht zur Belastung für die Beziehung zwischen Mitarbeitern und ihren Vorgesetzten werden, wenn über Leistung und erbrachte Beiträge gesprochen wird.
Mitarbeitende sollen nicht verärgert werden?
Karolin Schaper: Das wäre zu einseitig betrachtet. Mitarbeitende fragen nach einem möglichst umfassendem Feedback, das aktionsorientiert ist und gleichzeitig wird häufig nach Wertschätzung gefragt, die im Verlauf des Prozesses zum Ausdruck gebracht werden soll. Man sieht schon hier, die Erwartungen an die „Employee Experience“ muss nicht zwingend deckungsgleich sein, wenn diese beiden Gruppen angeschaut werden. Aus der Geschäftsleitung wird schließlich die Bedeutung einer Leistungskultur und gleichzeitig von Zusammenarbeit in Teams herausgestellt. Leistungsträger sollen bekannt sein, gezielt an die Organisation gebunden werden und auch besondere Förderung erhalten.
Frank Gierschmann: Immer mehr Führungskräfte erkennen, wie sehr ein zielführend gestaltetes Performance Management Anreize für Talente setzt und sich somit positiv auf die Arbeitgeberattraktivität auswirkt. Und inzwischen ist allen klar geworden, dass die gängigen HR-IT-Systeme nur begrenzt konfigurierbar sind… und leider zu sehr die Abbildung von Prozessen in ihrer DNA angelegt haben.
Karolin Schaper: Von Employee Experience ist bei den klassischen Systemen in der Tat weit und breit nicht viel zu erkennen. So überrascht es nicht, dass aktuell eine Vielzahl an Lösungen auf den Markt drängen, welche die gängigen HR-IT-Anbieter unter Druck setzen, flexiblere Konfigurationsmöglichkeiten zu schaffen als man sich das früher hätte vorstellen können.
Es ist insgesamt ein enormer Spagat an Ansprüchen, die an das Performance Management gestellt werden. Die Erwartungen könnten unterschiedlicher nicht sein. Wir reagieren Unternehmen darauf?
Frank Gierschmann: Die Heterogenität der Anforderungen und Möglichkeiten verlangt nach einer klaren Positionierung. Dies kann nur auf Basis der jeweiligen Ausgangslage einer Organisation, der Unternehmenskultur und des Führungsverständnisses geschehen. Am Anfang steht immer die Frage, welchen Unterschied das künftige Performance Management für die Organisation machen soll: Welchen Beitrag soll das Instrument leisten? Und diese Fragen werden immer häufiger unterschiedlich beantwortet, womit die Lösungen nicht ähnlicher, sondern deutlich individueller ausgestaltet und immer weniger vergleichbar werden.
Von welchem Spektrum an Performance-Management-Lösungen sprechen wir?
Frank Gierschmann: Das kommt darauf an, was mit dem Performance Management erreicht werden soll. Tatsächlich sehen wir aktuell eine Renaissance des Begriffs der Leistungskultur. So gibt es weiterhin Performance-Management-Systeme mit strikten Vorgaben zur Differenzierung von Leistung und Identifikation von Potenzial, zum Teil auch mit Verteilungsvorgaben. Hier wird der Prozess häufig sehr diszipliniert und mit klaren Regeln geführt. Wir alle kennen diese Systeme und auch deren Nebenwirkungen insbesondere aus dem angelsächsischen Raum. Mittlerweile gibt es aber nur noch wenige Unternehmen, die beispielsweise über längere Zeit eine Forced Distribution aufrecht erhalten. Temporär werden diese allerdings bewusst immer wieder eingesetzt und teilweise auch in Unternehmen, bei denen eigentlich eine stark auf Kooperation aufbauende Kultur vorherrscht.
Und wie zeigt sich der Ansatz am anderen Ende Ihres Kontinuums?
Karolin Schaper: Da findet sich die Abschaffung sämtlicher Vorgaben, die sich auf Prozesselemente, terminliche oder sonstige Verpflichtungen im Rahmen eines Performance Managements beziehen. Hier wird vor allem an einem gemeinsamen Führungsverständnis in Bezug auf das Performance Management gearbeitet. Gleichzeitig wird die Möglichkeit zu einer echten Eigenverantwortung der Mitarbeitenden herausgestellt und tatsächlich auch ermöglicht. In einigen Organisationen gibt es eine Verlagerung weg vom Individuum hin zur Team-Ebene. Hier stimmen Teams untereinander Ziele ab, geben sich Feedback zur Verbesserung ihrer Leistung als Gruppe und stellen Wertschätzung für besondere Beiträge Einzelner zu gemeinschaftlich erbrachten Ergebnissen heraus.
Beides klingt in der Tat sehr unterschiedlich. Wie würde sich denn eine „normale“ Performance Management Landschaft in einem Unternehmen darstellen?
Frank Gierschmann: Zunächst einmal grundsätzlich: Performance Management übersetzt die Strategie der Organisation in Anforderungen – also in Ziele oder Beiträge und Verhalten – für den einzelnen Mitarbeitenden und trägt so zur Strategieumsetzung bei. Gleichzeitig kann ein modern gedachtes, Feedback-orientiertes Performance Management über regelmäßige, strukturierte Austausch- und Bewertungsmöglichkeiten zu mehr und besseren Dialogen in der Organisation führen und ultimativ zu mehr Innovation und Lernen.
Karolin Schaper: Performance Management erhebt individuelle wie auch Teamleistungen und in vielen Fällen auch individuelles Potenzial. Es kalibriert unterschiedliche Sichtweisen auf Mitarbeitende und definiert so die Konsequenzen für eine Vielzahl von HR-Prozessen wie beispielsweise Vergütung, Talent Management oder Besetzungsprozesse.
Das klingt wenig kritikwürdig. Warum gab es denn kritische Debatten über den Sinn bzw. Unsinn von den klassischen Systemen?
Frank Gierschmann: Es ist weniger das Was, das debattiert wird, sondern vielmehr das Wie und im Ergebnis der am Aufwand gespiegelte Nutzen. In der Praxis wurden Leistung und Erfolg oft über die Erreichung vereinbarter Ziele und die Bewertung bestimmter Leistungs- und/oder Verhaltensbeobachtungen bewertet. In den letzten Jahrzehnten war dabei – mit dem Ziel einer höheren Objektivität – eine Entwicklung zu sehr detaillierten Vereinbarungen sowie mathematisch abgeleiteten Beurteilungen zu verzeichnen. Dass man mit solchen Festlegungen die dynamische und auch komplexe Realität nicht abbilden kann, war eigentlich absehbar…
Karolin Schaper: Performance Management ist ja immer auch ein sozialer Prozess zwischen Führungskraft und Mitarbeiter. Die Vorstellung, dass dieser Prozess möglichst sachlich und rational nachvollziehbar gestaltet sein muss, springt zu kurz. Viele Führungskräfte scheuen zum Beispiel das klare Urteil, schätzen sich und andere als zu gut sein. Zum Teil läuft das auch unbewusst ab. Wir kennen aus der Psychologie den sogenannten self- enhancement bias, der genau das beschreibt. In der Folge erfüllen diese starren Prozesse nicht die Erwartungen hinsichtlich einer angemessenen Differenzierung von Leistung und Erfolg, Ausdruck von Wertschätzung und übrigens auch nicht hinsichtlich des Erreichens einer Performance-Kultur – also wurden all die Wünsche der unterschiedlichen Stakeholder in der Regel nicht zufriedenstellend erreicht.
Die Diagnose ist klar. Was ist aus Ihrer Sicht die passende Therapie?
Karolin Schaper: Da kommen wir wieder an den Anfang der Diskussion zurück. Die erste Frage lautet immer, welchen Unterschied soll das Performance Management machen. An einem solchen Nordstern muss das Design und übrigens später auch die Einführung unbedingt ausgerichtet sein. Sonst könnte man tatsächlich den starren Vorgaben der IT-Systeme folgen und würde weiterhin die bekannten Klagen aus Organisationen erhalten.
Frank Gierschmann: Das erklärt, warum beispielsweise einige Organisationen mit Verweis auf die Bedeutung von Teamarbeit und Innovationsfähigkeit und die klassische Leistungsbeurteilung nicht mehr mit dem Bonus verknüpfen, während andere die bereits vollzogene Entkoppelung gerade wieder zurücknehmen, um künftig Leistungsträger wieder mehr herauszustellen. Ein differenzierter Blick auf die individuellen Beiträge und Leistung spielt dabei übrigens in beiden Szenarien eine Rolle.
Karolin Schaper: Aber es gibt auch übergreifende Themen, die sich gut beobachten lassen. Eigentlich haben die meisten Unternehmen in den letzten Jahren daran gearbeitet, ihre Systeme stark zu vereinfachen, lassen viel mehr Flexibilität zu und nehmen die Perspektive von Vorgesetzten nicht als einzige Quelle für den Blick auf Mitarbeitende und deren Leistung. Kontinuierliches Feedback – auch hier nicht nur von Vorgesetzten – das auf das Wachstum und die Entwicklung abzielt, ist inzwischen selbstverständlich und es liegt auch in der Mitarbeiterhand, dieses einzuholen.
Nach Bemühungen um eine stärkere Objektivierung schlägt das Pendel zu mehr diskretionärem Ermessen von Vorgesetzen wieder zurück?
Frank Gierschmann: Das ist in vielen Organisation bereits geschehen. Dabei geht es häufig nicht um die absolute Beurteilung von Leistung. Der Quervergleich hilft, Stärken herauszuarbeiten und Leistungsträger zu erkennen. Häufig ergeben sich dabei übrigens relativ stabile Bilder und die Einschätzungen verändern sich in den jährlichen Durchsprachen nicht so stark, sondern entwickeln sich eher über längerfristige Zeiträume.
Sie haben die Abschaffung des individuellen Bonus angesprochen: Sehen Sie diese als sinnvoll an?
Karolin Schaper: Um den bekannten Problemen im Performance Management zu entgehen, haben zahlreiche Unternehmen individuelle Boni vollständig oder teilweise in die Grundvergütung integriert und/oder den kollektiven Komponenten zugeschlagen. Damit wird der Bonus zu einem reinen Profit Sharing und der Schmerz bei der Berechnung der finanzielle Seite des Performance-Management-Prozesses scheint auf einfachem Weg eliminiert zu sein. Dabei übersehen aber viele, dass der Bonus nur eine der finanziellen Konsequenzen ist, die mit dem Performance Management verknüpft sind. Die Leistungsdifferenzierung wirkt normalerweise auch auf weitere Vergütungsbestandteile, wie die jährliche Gehaltsanpassung, die dann besonders in den Blick kommt. Der Spielraum im Rahmen der jährlich freigegeben Budgets muss also deutlich stärker als bisher genutzt werden, weil sonst die Gefahr besteht, Leistungsträger zu frustrieren.
Frank Gierschmann: Der Vorteil dieser Lösung liegt neben der Aufwandreduzierung in der Entkopplung der Leistungsrückmeldung von finanziellen Konsequenzen und ihrer möglichen, stärkeren Verbindung mit Entwicklungs- und Potenzialgesprächen. Leistung kann offener besprochen werden. Kritik lässt sich möglicherweise leichter akzeptieren, wenn nicht sofort finanzielle Einbußen drohen. Allerdings besteht Gefahr, dass Leistungsbeurteilungen ohne Vergütungskonsequenzen nicht mit der Sorgfalt betrieben werden wie zuvor. Da beide Elemente jedoch für den Erfolg des Unternehmens als unverzichtbar betrachtet werden, stellt dies die eigentliche Herausforderung dar.
Als Fazit bleibt: Differenzierung ist notwendig und sie bleibt Daueraufgabe für Führungskräfte!
Frank Gierschmann: Die Frage, ob sich Leistung und Erfolg finanziell lohnen sollen, ist sicherlich zu bejahen. Die Umsetzung dieser Prämisse erfolgt nur sehr unterschiedlich. So sehen wir im Markt Unternehmen, die nach vielen Jahren mit der individuellen Leistungskomponente in ihrem Bonussystem unzufrieden sind und sie abschaffen. Andere, deren Modell bisher nur aus kollektiven Elementen bestand, wollen sie einführen. Das Ergebnis ist die anfangs skizzierte aktuelle Heterogenität im Performance Management.
Lohnt sich damit überhaupt noch der Blick in den Markt? Gehört die Suche nach Best Practices der Vergangenheit an?
Karolin Schaper: Es führen immer mehrere Wege nach Rom. Welcher Weg der richtige ist, muss jedes Unternehmen vor dem Hintergrund seiner Strategie und Kultur für sich beantworten. Aber eines ist sicher: Es mag viele Ausprägungen von Performance-Management-Systemen geben, letztlich ist ihre Kernaufgabe aber immer, die leistungs- bzw. erfolgsbasierte Differenzierung im Unternehmen zu stärken.
Frank Gierschmann: Und diese Differenzierung ist die Basis von Unternehmenserfolg. Sie bleibt damit eine Daueraufgabe für Führungskräfte und den diese unterstützenden Personalbereich. Niemand kann diesem Thema entfliehen. Eine Führungskraft kann nicht nicht differenzieren!
Frau Schaper, Herr Gierschmann, vielen Dank für das Interview!