Begriffe wie Digitalisierung, Transformation oder die vierte industrielle Revolution sind Buzzwords, die momentan in aller Munde sind und gern als Synonyme für eine sich dramatisch verändernde Arbeits- und Sozialwelt herangezogen werden. Aber sie haben auch einen realen Hintergrund. Unternehmen sind daher auf allen Hierarchieebenen intensiv auf der Suche nach Talenten, die in dem Themenfeld Digitalisierung und Transformation Aufgaben und Verantwortung übernehmen. hkp.com im Gespräch mit den hkp/// group Experten Regine Siepmann und Hannes Klingenberg über ihre diesbezüglichen Erfahrungen auf Vorstands- und Aufsichtsratsebene.
Frau Siepmann, Herr Klingenberg, die digitale Transformation beeinflusst Unternehmen auf unterschiedlichen Ebenen. Welche Veränderungen stellen Sie bei Unternehmensleitungen fest?
Regine Siepmann: Anders als öffentlich vielleicht wahrgenommen, öffnen sich deutsche Top Manager in den letzten Jahren der Digitalisierung mehr und mehr und erklären zumindest die Beschäftigung damit zur Chefsache. Dies erkennt man zum einen daran, dass DAX-CEOs regelmäßig im Silicon Valley – dem vermeintlichen Mekka der Digitalisierung – zu Gast sind, sich dort informieren oder Partnerschaften vorantreiben.
Hannes Klingenberg: Auch ist zu beobachten, dass sich die Position des CDO, des Chief Digital Officer, in immer mehr Gesellschaften etabliert, wenngleich es sich hierbei noch nicht um ein Massenphänomen auf Vorstandsebene handelt. Typischerweise sind Chief Digital Officers auf zweiter oder dritter Führungsebene zu finden und berichten direkt an den CEO.
Welche Aufgaben fallen in das Ressort eines Chief Digital Officers? Oder ist CDO nur eine andere Bezeichnung für einen Chief Innovation bzw. Chief Technologie Officer?
Regine Siepmann: Eine spezifische Funktionsbeschreibung haben wir noch nicht gesehen. Viele Unternehmen befinden sich selbst noch im Definitionsprozess. Dennoch kann gesagt werden, dass CDOs, im Gegensatz zu CIOs oder CTOs, weniger techniknah positioniert sind. Aktuell haben CDOs eher die Aufgabe – neben ihrer eigenen Rollendefinition – entsprechende Digitalstrategien oder -identitäten für Unternehmen zu formulieren und diese sowohl intern als auch extern zu verbreiten.
Hannes Klingenberg: Ein CDO sollte aktuelle Trends durch neue Technologien, der zunehmenden Vernetzung und des gesellschaftlichen Wandels erkennen und Implikationen aufgrund einer zunehmenden Volatilität, veränderter, bzw. neuer Geschäftsmodelle oder deutlich verkürzter Produktlebenszyklen für das Unternehmen ableiten. Das Spektrum an Verantwortungen kann also von dem Erkennen und Rekrutieren geeigneter Talente über das Eingehen strategischer Partnerschaften mit Startups bis hin zur Durchführung eines Change Managements zur Etablierung einer neuen Kultur reichen.
Reichen bei diesen neuen Aufgabenfeldern die aktuell in Vergütungssystemen von Vorständen verwendeten quantitativen Steuerungskennzahlen aktuell noch aus, um entsprechend zu motivieren?
Regine Siepmann: Große börsennotierte Konzerne in DAX oder MDAX werden nicht von heute auf morgen ihre Geschäftsmodelle verändern oder ihre langfristige strategische Planung komplett auf den Kopf stellen. Die Herausforderungen der Digitalisierung sollten jedoch gesehen und berücksichtigt werden.
Könnten Sie das konkretisieren?
Regine Siepmann: Betrachten wir die Automobilbranche: Um sich auf den Feldern der Elektromobilität oder des autonomen Fahrens behaupten zu können, werden bei deutschen Autobauern in kürzester Zeit große Investitionen notwendig. Rekordumsätze und -gewinne wie in den letzten Jahren bleiben da womöglich aus. Das gilt es zukünftig unternehmensspezifisch und individuell in der Anreizsetzung von Vorständen und dem Top Management zu berücksichtigen.
Daraus abgeleitet – wie könnte das Vergütungssystem der Zukunft aussehen?
Hannes Klingenberg: Da gibt es kein Patentrezept. Künftig, wie auch schon heute, werden Vergütungssysteme so unterschiedlich sein wie die Unternehmen selbst, sich aber gerade auf Vorstandsebene weiterhin am Aktiengesetz und Deutschen Corporate Governance Kodex ausrichten müssen. Auch Investoren werden zukünftig weiterhin positive Renditeerwartungen haben. Es ist jedoch zu erwarten, dass die Digitalisierung mehr denn je zu einer Verschränkung von Unternehmenssteuerung und Anreizsetzung der Unternehmensleitung führt.
Regine Siepmann: Im engen Schulterschluss mit der Digitalstrategie sollte regelmäßig geprüft werden, ob verwendete quantitative finanzielle Kennzahlen im Sinne der Steuerung als Erfolgsziele noch sinnvoll sind. Vor allem bei zu erwartenden Investitionen ist zu überdenken, ob Bottom-Line Gewinngrößen, wie der Konzernjahresüberschuss oder das EBT, die Erwartungshaltung aller Stake- und Shareholder erfüllen oder ob nicht eine Kombination aus Wachstum und Profitabilität geeignetere Kenngrößen wären.
Sie hatten zurecht angemerkt, dass sich die Welt schneller dreht, die Veränderungszyklen wesentlich kürzer ausfallen. Passt hier noch die klassische mehrjährige variable Vergütung?
Regine Siepmann: Ein nachhaltiger Vergütungsansatz sollte stets gewährleistet sein, zumal er ja auch über das Aktiengesetz eingefordert wird. Aber Sie haben recht: Die Gestaltung der langfristigen variablen Vergütung, wie wir sie bislang kennen, – mit Performancezeiträumen von vier oder mehr Jahren – steht aufgrund zunehmender Volatilität der Märkte vor der Herausforderung einer richtigen Anreizsetzung durch entsprechende Kennzahlen und Vergütungsphilosophien.
Hannes Klingenberg: Variable Langfristvergütungen müssen die zukunftsgerichtete Unternehmensentwicklung honorieren. Das ist ihre Berechtigung im Klang der Vergütungsinstrumente. Neben der Verwendung finanzieller Kennzahlen ist dabei auch die stärkere Nutzung qualitativer Kriterien denkbar, die beispielsweise auf den Umgang mit neuen Herausforderungen, die Erreichung strategischer Meilensteine oder Nachhaltigkeitsaspekte abzielen.
Bei dem Thema Vorstandsvergütung bewegen wir uns im wesentlichen Aufgabenbereich von Aufsichtsräten. Welche Veränderungen kommen auf Aufsichtsräte in Deutschland zu?
Regine Siepmann: Die Festsetzung der Vorstandsvergütung ist eine Aufgabe des Aufsichtsrats. Dieser wird schon allein deswegen nicht umhinkommen, sich mit disruptiven Veränderungen, Transformation und Digitalisierung auseinanderzusetzen. Daher braucht es Aufsichtsräte, die sich der Relevanz der Digitalisierung und den verbundenen Auswirkungen für ihre Unternehmen bewusst sind.
Nach dem DCGK sind Aufsichtsräte angehalten, zur ordnungsgemäßen Wahrnehmung ihrer Aufgaben über die dafür erforderlichen Fähigkeiten und fachliche Expertise zu verfügen…
Hannes Klingenberg: … zudem leitet sich aus dem Aktiengesetz eine persönliche Haftung der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder für die Erfüllung bzw. Nichterfüllung der Sorgfaltspflichten hinsichtlich Überwachung und Beratung des Vorstands ab. Es gibt also schon eine gesetzliche Grundlage und einen regulatorischen Rahmen für diese notwendigen Veränderungen. Hier haben nicht wenige Aufsichtsräte noch Nachholbedarf.
Regine Siepmann: Doch nicht nur aufgrund des regulatorischen bzw. rechtlichen Rahmens sollten Aufsichtsräte die Einflüsse der Digitalisierung oder der technologischen Entwicklung beurteilen können, denn es ist davon auszugehen, dass der Einfluss auf bestehende Geschäftsmodelle stetig zunimmt. Und um Strategien mit zu entwickeln und deren Umsetzung überwachen zu können, braucht es mindestens einen Grundstock an Digital- und Transformationsexpertise.
Bei einer Betrachtung der aktuellen Besetzung deutscher Aufsichtsräte sind „Digital Natives“ aber noch Mangelware, oder?
Hannes Klingenberg: Wir sehen aktuell viele erfahrene Branchenkenner und ehemalige Vorstände in den Aufsichtsgremien, aber in der Tat: Aufsichtsräte mit breiter digitaler Expertise oder Transformations-Know-how sind noch zu selten anzutreffen.
Regine Siepmann: Aber wir sehen auch Vorstände, die den Einfluss der Digitalisierung auf operativer und strategischer Ebene schon sehr deutlich spüren, und die die neue Generation an in dieser Hinsicht professionell und kompetent agierenden Aufsichtsräten bilden werden. Gerade Aufsichtsratsvorsitzende müssen aber schon heute kritisch prüfen, ob in ihren Gremien ausreichend digitale Kompetenzen vorhanden sind, und im Zweifel auch entsprechend experte Kräfte nachziehen. Nur so lässt sich langfristig und verantwortungsvoll im Sinne des Unternehmens agieren.
Was raten Sie Aufsichtsräten und Vorständen, um den Herausforderungen der Digitalisierung angemessen zu begegnen?
Regine Siepmann: Ich habe den Eindruck, dass die Unternehmen in Deutschland auf dem richtigen Weg sind und sich entweder schon ganz konkret mit der Digitalisierung auseinandersetzen oder die entsprechenden Transformationsprozesse vorbereiten. Nichtsdestotrotz besitzen große börsennotierte Konzerne nicht dieselbe Agilität wie Startups. Daher ist es umso wichtiger, rechtzeitig zu erkennen und zu definieren, welche digitale Strategie verfolgt werden soll.
Hannes Klingenberg: Daraus abgeleitet sollten für Vorstände und das Top Management die richtigen Anreize für eine nachhaltige Unternehmensentwicklung gesetzt werden, auch wenn damit bis dato etablierte Systeme abgelöst werden. Um realistische Erwartungshorizonte zu definieren, sollten veränderte Steuerungskennzahlen und Zielsetzungen dabei rechtzeitig und progressiv mit allen Stake- und Shareholdern kommuniziert werden.
Regine Siepmann: Vor allem hier sind Aufsichtsräte gefordert, über entsprechende digitale Kompetenzen eine sich veränderte Unternehmenswelt in ihrer Strategie- und Kontrollfunktion zu begleiten.
Frau Siepmann, Herr Klingenberg, herzlichen Dank für das Gespräch!