Warum die Nachfolgeplanung für Vorstandspositionen ein wesentliches Element des Risikomanagements im Unternehmen ist und was Aufsichtsräte hierbei beachten sollten. Ein Gespräch mit den hkp/// group Experten Dr. Jan Dörrwächter und Frank Gierschmann.
Herr Dr. Dörrwächter, Herr Gierschmann, warum wird der Nachfolgeplanung für Vorstandspositionen als Aufgabe des Aufsichtsrats aktuell eine so hohe Bedeutung beigemessen?
Dr. Jan Dörrwächter: Im deutschen zweistufigen Board System hat der Aufsichtsrat drei grundsätzliche Aufgabenfelder: Die Überwachung des Vorstands, dessen inhaltliche – vor allem strategische – Begleitung und Beratung sowie die Auswahl, Bestellung und Abberufung von Vorstandsmitgliedern, einschließlich deren Vergütung. Zum letztgenannten Aufgabenbereich, der Verantwortung für die Personalangelegenheiten des Vorstands, gehört, wie im Deutschen Corporate Governance Kodex ausdrücklich hervorgehoben, gemeinsam mit dem Vorstand für eine langfristige Nachfolgeplanung für diesen zu sorgen.
Vor diesem Hintergrund hat die zügige Besetzung von Vakanzen im Vorstand entscheidende Bedeutung für die Effektivität und Effizienz der Aufgabenwahrnehmung des Aufsichtsrats.
Frank Gierschmann: Ja, und es empfiehlt sich daher, einen strukturierten Prozess zu definieren, um potenzielle Nachfolger für Vorstandspositionen zu identifizieren und zu entwickeln. Das wichtigste Ziel der Nachfolgeplanung durch den Aufsichtsrat ist dabei die Minimierung des Nachfolgerisikos von Vorstandspositionen.
Nach welchen grundsätzlichen Prinzipien wird eine Nachfolgeplanung typischerweise aufgebaut?
Frank Gierschmann: In der Regel erfolgt die Nachfolgeplanung in vier Schritten. In der Vorbereitungsphase werden grundsätzliche Fragen wie die genauen Positionen und sonstige Rahmenbedingungen geklärt. In einem nächsten Schritt werden Kandidaten als potenzielle Nachfolger für die definierten Positionen nominiert – typischerweise durch den Aufsichtsrat, aber auch durch den Vorstand selbst, vor allem durch den Vorstandsvorsitzenden. Daraufhin validiert der Aufsichtsrat die Nominierungen: Es erfolgt eine Überprüfung, inwieweit die nominierten Kandidaten die definierten Anforderungskriterien zur Übernahme der entsprechenden Vorstandsposition erfüllen, um daraus eine Shortlist zu erstellen.
Dr. Jan Dörrwächter: Auf Basis dieser Vorauswahl sowie eines Abgleiches der Anforderungen der jeweiligen Vorstandsposition mit den Profilen der Kandidaten werden gezielte Entwicklungsmaßnahmen für interne Kandidaten geplant und umgesetzt. Eine fortlaufende Überprüfung der Effektivität der Nachfolgeplanung rundet den Gesamtprozess ab und dient der permanenten Optimierung.
Wie kann die Nachfolgeplanung möglichst effektiv gestaltet werden?
Frank Gierschmann: Das Ergebnis der Nachfolgeplanung ist eine Übersicht über Kandidaten, die zu definierten Zeitpunkten eine vakante Vorstandsposition übernehmen können. Um die Komplexität zu reduzieren, empfiehlt es sich, Kategorien für die Nachfolge zu definieren. In vielen Unternehmen hat sich eine Einordnung anhand von drei Kategorien etabliert: Kandidaten, die eine Position sofort bzw. kurzfristig besetzen können; jene, die mittelfristig mit einem Horizont von bis zu zwölf Monaten, und solche, die langfristig, sprich innerhalb der kommenden drei bis fünf Jahre, für eine Stellenbesetzung in Frage kommen.
Dr. Jan Dörrwächter: Wobei bei der inhaltlichen Definition der Kategorien darauf zu achten ist, dass diese auf Basis der generellen Zielsetzung und der Ausrichtung der Nachfolgeplanung formuliert werden: Liegt der Fokus der Nachfolgeplanung auf der Entwicklung von internen Mitarbeitern, sollte sich dies auch in den Beschreibungen der Kategorien widerspiegeln. So ist zum Beispiel klar zu benennen, welche Entwicklungsschritte nötig sind, um sich in eine Vorstandsposition zu entwickeln. Wenn die Planung im Gegensatz dazu einen Fokus auf der konkreten Nachfolge bzw. auf dem Risikomanagement hat, empfiehlt es sich, die Nachfolgekategorien wie beschrieben mit festen Zeithorizonten zu versehen.
Sollte eine Nachfolgeplanung immer externe wie interne Kandidaten einschließen?
Frank Gierschmann: Aus unserer Sicht ja. Es wird ansonsten zu viel Potenzial verschenkt.
Dr. Jan Dörrwächter: Auch wenn es aufgrund strategischer Überlegungen Präferenzen für die interne oder externe Besetzung von Vorstandspositionen gibt, sollten sich Aufsichtsräte grundsätzlich offen gegenüber beiden Optionen zeigen.
Interne Kandidaten verfügen in der Regel über eine tiefe Kenntnis der eigenen Organisation und ihrer kritischen Prozesse, können auf persönliche Netzwerke im Unternehmen setzen und sich auf dieser Basis sehr schnell in eine neue Position hineinarbeiten. Ein klarer Vorteil!
Dr. Jan Dörrwächter: In der Tat scheint bei einem internen Kandidaten das Risiko einer fachlichen wie kulturellen Fehlbesetzung begrenzt. Der Vorteil interner Kandidaten kann aber zum Nachteil werden. Für einen radikalen Neuanfang braucht es erfahrungsgemäß externe Nachfolger im Vorstand, die unbelastet von in der Vergangenheit getroffenen Entscheidungen neue Ansätze verfolgen und hemmende Strukturen und Netzwerke aufbrechen.
Frank Gierschmann: Für die Einbeziehung von externen Kandidaten in die Nachfolgeplanung spricht beispielsweise auch, dass möglicherweise in der eigenen Organisation zu wenige Talente mit passendem Profil verfügbar sind. So kämpfen mittelständische Unternehmen nicht selten mit dem Problem, dass zum Zeitpunkt einer Vakanz im Vorstand keine ausreichend entwickelten internen Kandidaten zur Verfügung stehen. Der umgekehrte Fall ist aber auch nicht selten: Potenzialträger, für die zum Zeitpunkt ihrer „Vorstandsreife“ keine entsprechende Position frei ist, weshalb diese das Unternehmen dann verlassen.
Dr. Jan Dörrwächter: Externe Kandidatenprofile können vor allem durch die Mitglieder des Aufsichtsrats, aber auch durch Mitglieder des Vorstands in die Nachfolgeplanung eingebracht werden. Bei der Beauftragung einer externen Personalberatung sind geeignete Kandidaten auf Basis eines definierten Suchprofils für das Unternehmen anzusprechen.
Wie konkretisiert sich der Nutzen der Nachfolgeplanung im Falle einer Besetzung?
Frank Gierschmann: Bei einer vakanten Vorstandsposition sollten, wie geschildert, mehrere Quellen zur Besetzung herangezogen werden. In jedem Fall muss bei Auftreten einer Vakanz ein Prozess definiert sein, der die Berücksichtigung der Nachfolgeliste im Besetzungsprozess fest verankert.
Wie detailliert sollten Aufsichtsräte mit der Nachfolgeplanung oder genauer mit der konkreten Besetzungsliste vertraut sein?
Dr. Jan Dörrwächter: Es ist ohne Zweifel hilfreich, wenn der Aufsichtsrat die Nachfolgeliste kennt. Mitglieder des Gremiums sollten sich idealerweise schon vor dem Zeitpunkt einer Vakanz ein Bild von internen Kandidaten machen, um so deren Passung für eine Vorstandsposition einschätzen zu können. Dieses Kennenlernen kann beispielsweise im Rahmen von regelmäßigen persönlichen Gesprächen oder Präsentationen in Gremien erfolgen.
Frank Gierschmann: Es hat sich in diesem Zusammenhang bewährt, dass Mitglieder des Aufsichtsrats etwa die Hälfte aller direkten Kandidaten im Besetzungsprozess für Vorstandspositionen kennen.
Sollte die Kenntnis der potenziellen Kandidaten auch noch weiter reichen?
Frank Gierschmann: Wir empfehlen es in jedem Fall. Aufsichtsräte sollten sich nicht scheuen, Top-Talente auf den Führungsebenen unterhalb des Vorstands zu kontaktieren. Das kann natürlich nur in begrenztem Rahmen geschehen. Aber neben dem eigenen Wissen des Aufsichtsrats dazu ist die Motivationswirkung solcher Kontakte für die Talente nicht zu unterschätzen. Sie sind ein wichtiger Mosaikstein für die Glaubwürdigkeit der internen Besetzungsprozesse – die natürlich bei der eigentlichen Besetzung zu unterstreichen ist.
Dr. Jan Dörrwächter: Idealerweise ist die Nachfolgeplanung für Vorstandspositionen mit jener auf den darunter liegenden Führungsebenen verknüpft, um einen durchgängigen Blick auf die Entwicklung der Talente im Unternehmen zu haben und Vakanzen, die durch das Aufrücken eines internen Kandidaten in den Vorstand entstehen, zügig nachbesetzen zu können. Dies unterstreicht übrigens auch noch einmal, wie wichtig das Zusammenwirken von Vorstand und Aufsichtsrat bei der Nachfolgeplanung ist.
Herr Gierschmann, Herr Dr. Dörrwächter, herzlichen Dank für das Gespräch!