Frau Siepmann, Herr Klingenberg: Sie ziehen in Ihrer aktuellen Studie ein deutlich negatives Fazit mit Blick auf die Abstimmungsrichtlinien der wichtigsten internationalen Investoren in Deutschland zur Vorstandsvergütung. Worauf stützt sich diese Bewertung?
Hannes Klingenberg: Nachdem wir auch auf internationaler Ebene auf keine vergleichbare Analyse gestoßen sind, haben wir detailliert die aktuellen Angaben der führenden Investoren in Deutschland zur Vorstandsvergütung im Hinblick auf generelle Verfügbarkeit, Transparenz, inhaltliche Relevanz und Praktikabilität bzw. Qualität der Handlungsleitung analysiert.
Regine Siepmann: Von den 40 führenden Investoren in DAX-Unternehmen haben vier gar keine entsprechenden Richtlinien bzw. verweisen allein auf die Vorgaben von Stimmrechtsberatern. Bei 70 % der Abstimmungsrichtlinien mangelt es an konkreten, detaillierten und handlungsleitenden Angaben zur Ausgestaltung von Vorstandsvergütung. Kaum ein Fünftel der betrachteten Investoren stellt dabei belastbare Vorgaben auf, wie sich z. B. der Unternehmenserfolg in der Vorstandsvergütung widerspiegeln sollte bzw. welche Anforderungen an eine Aktienkultur gestellt werden. Auch findet das - in den letzten Jahren intensiv diskutierte - Thema des Ermessens in der Festsetzung von Vergütung bei über 70 % der Investoren nur ungenügend Beachtung.
Regine Siepmann: In der Tat! Und es ist umso frappierender, als dass die Politik mit der europäischen Aktionärsrechterichtlinie und ihrer nationalen Umsetzung im Rahmen des ARUG II mehr Verantwortung für die Vorstandsvergütung in die Hände der Hauptversammlung und damit der Investoren legt.
Hannes Klingenberg: Wenn Investoren ihre Anforderungen an Vorstandsvergütung nicht klar formulieren und transparent machen, dann bleiben sie für Unternehmen eine Unbekannte. Die Gestaltung von Vorstandsvergütung wird damit zur Lotterie mit einer im schlechtesten Fall unerfreulichen öffentlichen Auseinandersetzung auf der Hauptversammlung - wie es vor allem in den Jahren 2016 und 2017 zu beobachten war.
Regine Siepmann: Die Rangreihe der professionellsten Vorgaben führt der US-Pensionsfonds CalPERS an. Dessen Abstimmungsrichtlinien überzeugen auf ganzer Linie und bieten Unternehmen eine umfassende, detaillierte und verständliche Anleitung, wie Vorstandsvergütungssysteme sowie deren Ausweis konkret gestaltet sein sollten.
Kristallisieren sich bestimmte Muster heraus?
Hannes Klingenberg: Nicht so klar, wie man es vielleicht hoffen würde. Die großen Investoren sind nicht notwendigerweise Vorbilder. So gehört mit Vanguard die zweitgrößte Investorengruppe im DAX zu den Schlusslichtern im Ranking. Deren Anforderungen sind für Unternehmen in fast keinem Bewertungsbereich nutzbar. Auch gehören Investoren mit umfangreichen Abstimmungsrichtlinien nicht unbedingt zu den kritischsten – wie es vielleicht zu erwarten wäre. Der am zweitbesten bewertete Investor BlackRock votierte seit 2010 laut Angaben von ProxyInsight in ca. 85 % der Fälle „für“ ein Vergütungssystem auf Hauptversammlungen im DAX.
Hannes Klingenberg: Von den deutschen Investoren erzielten die DWS und Allianz Global Investors die besten Bewertungen und platzieren sich auf den oberen Rängen. Die Abstimmungsrichtlinien beider Investoren liegen bei den Anforderungen an den Ausweis an Vergütung und den Umgang mit der Hauptversammlungsabstimmung über die Vorstandsvergütung – dem sog. Say on Pay – auf Spitzenniveau. Im Weiteren fehlen aber vor allem Angaben zum Thema Ermessen oder detaillierte Vorgaben zur Erfolgsmessung, die für Unternehmen eine zweifelsfreie Gestaltung eines Vorstandsvergütungssystems ermöglichen.
Regine Siepmann: Es ist nicht nur die Forderung nach transparenten, klaren und handlungsleitenden Vorgaben der Investoren in puncto Vorstandsvergütung. Wichtig ist auch eine differenzierte Diskussion um die Rolle und den Einfluss von Investoren und ihrer Stimmrechtsberater. Corporate-Governance-Verantwortliche und professionelle Investoren müssen dafür sorgen, dass mit dem Thema Vorstandsvergütung verantwortungsvoll umgegangen wird.
Hannes Klingenberg: Die immer stärkere Verlagerung unternehmerischer Entscheidungen zu institutionellen Investoren zählt aus unserer Sicht nicht dazu. Aber damit Investoren sowie Unternehmen mit dem aktuellen gesetzlichen Status quo konstruktiv arbeiten können, braucht es klare Leitplanken für verantwortliches Handeln, nicht noch mehr Details.
Regine Siepmann: Diese Leitplanken oder Richtlinien sollten in einem Stewardship Code formuliert werden, der verbindlich für alle in Deutschland aktiven Investoren sein muss – und nicht nur die Minderheit der deutschen Investoren adressieren.
Frau Siepmann, Herr Klingenberg, vielen Dank für das Gespräch!