Der Gender Pay Gap sowie die zur Berechnung verwendeten Methoden werden intensiv diskutiert. Dabei stehen immer wieder Fragen zur Reliabilität, Qualität und Zugänglichkeit der Daten sowie zur Validität der Ergebnisse im Fokus. In der Tat gibt es nur selten Datensätze, die die relevanten Informationen bezüglich Vergütung, Funktionswertigkeit, des Grads der Teilzeitbeschäftigung oder zu Bildungsstand, Anzahl der Kinder oder Elternzeit beinhalten. Fehlende Daten gestaltet die entsprechenden Analysen aber sehr herausfordernd und können sogar zu widersprüchlichen Ergebnissen oder gar falschen Schlussfolgerungen führen. hkp.com im Gespräch mit Jennifer S. Schulz und Verena Vandervelt über den hkp/// group Ansatz zur analytischen Berechnung des Gender Pay Gaps sowie über dessen Ausmaß in ausgewählten Ländern.
Frau Schulz, Frau Vandervelt, Methodik wie auch Ergebnisse von Gender-Pay-Gap-Analysen werden breit und intensiv diskutiert. Wie gewährleistet der hkp/// group Ansatz zuverlässige Ergebnisse?
Jennifer S. Schulz: Da der Zugang zu qualitativ hochwertigen Daten für die Analyse von geschlechtsspezifischen Gehaltsunterschieden sehr beschränkt ist, ist es umso wichtiger einen analytisch robusten Ansatz zur Auswertung der verfügbaren Informationen zu verwenden, um fundierte Schlussfolgerungen ziehen zu können. Wir verfügen über hoch verlässliche Daten aus unseren Vergütungsstudien wie Global ExecuNet (GEN), die Daten von Top Executives in mehr als 60 Ländern weltweit umfassen. Der hkp/// group Ansatz zur Erhebung und Verarbeitung von Vergütungsdaten bietet dabei ein hohes Maß an Konsistenz und Vergleichbarkeit über Unternehmen und Länder hinweg.
Verena Vandervelt: Zusätzlich zur qualitativ hochwertigen Datenbasis haben wir einen Ansatz für fundierte Fair-Pay-Analysen basierend auf unseren Studiendaten entwickelt. Wir verwenden die in der Wissenschaft präferierte Regressionsanalyse, über die wir die Effekte der verschiedenen Einflussfaktoren auf Vergütungshöhen isoliert betrachten können. Dieser Ansatz ermöglicht differenzierte Fair Pay Analysen, insbesondere im Hinblick auf die durch das Geschlecht zu erklärenden Vergütungsunterschiede.
Welche Einflussfaktoren auf die Vergütungshöhen werden bei einer Fair-Pay-Analyse berücksichtigt?
Verena Vandervelt: Wir haben mehrere Voranalysen durchgeführt, um die Faktoren in unseren Daten mit dem stärksten Einfluss auf die Vergütungshöhen zu identifizieren. Neben dem Geschlecht haben wir die Funktionswertigkeit, das Alter, die Funktionsfamilie und unternehmensspezifische Charakteristika wie die Branche, den Standort sowie die Vergütungsstrategie als Faktoren mit dem größten Einfluss auf die Vergütungshöhe ermittelt. Mit einem stufenweisen Regressionsansatz können wir die Effekte dieser Faktoren auf die Unterschiede in den Vergütungshöhen zwischen Männern und Frauen isoliert betrachten. Dies erlaubt es, einen bereinigten geschlechtsspezifischen Gehaltsunterschied – den sogenannten adjusted gender pay gap – zu ermitteln, der eine bedeutend höhere Validität aufweist als ein Vergleich durchschnittlicher Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen ohne andere Faktoren zu kontrollieren.
Können Sie bitte den Unterschied zwischen unbereinigtem und bereinigtem Gender Pay Gap erklären?
Jennifer S. Schulz: Bei der Berechnung des unbereinigten Gender Pay Gap wird die durchschnittliche Vergütungshöhe von Männern und Frauen verglichen, ohne zusätzliche Faktoren zu berücksichtigen, die den Vergütungsunterschied erklären können. Dazu zählen zum Beispiel, dass Frauen durch Elternzeit und Kinderbetreuung Berufserfahrung langsamer aufbauen oder dass sie in weniger gut bezahlten Berufsgruppen tätig sind. Über die Berücksichtigung von Einflussfaktoren wie Funktionswertigkeit, Alter, Funktionsfamilie oder unternehmensspezifischen Charakteristika, können wir mit unserer Methode den Einfluss des Geschlechts auf Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen isolieren. Dieser Unterschied ist dann der bereinigte Gender Pay Gap.
Wie steht es basierend auf hkp/// group Analysen um den Gender Pay Gap in Deutschland?
Verena Vandervelt: Also wenn wir den unbereinigten Gender Pay Gap in Deutschland für die Zieldirektvergütung (Grundvergütung inkl. der kurz- und langfristigen Zielboni) analysieren, verdienen Männer 15 % mehr als ihre weiblichen Kollegen. Allerdings zeigt sich auch, dass Männer im Durchschnitt älter sind und in höheren Positionen arbeiten als Frauen. Wenn wir also für Alter, Funktionswertigkeit, Funktionsfamilie und unternehmensspezifische Charakteristika kontrollieren, ergibt sich ein bereinigter Gender Pay Gap von nur 2,5 %.
Das ist überraschend! Aber wie stellt sich dieser Wert im Vergleich zu anderen europäischen Ländern dar?
Jennifer S. Schulz: 2,5% im bereinigten Gender Pay Gap – mit diesem Wert liegt Deutschland auf vergleichbarem Niveau mit den meisten anderen westeuropäischen Ländern wie Großbritannien, Belgien, Frankreich oder der Schweiz – dort schwankt der Unterschied zwischen etwa 2 % und 3 %. In den Niederlanden, wo die Verantwortung für die Kinderbetreuung stärker zwischen Männern und Frauen aufgeteilt wird, ist der Gender Pay Gap geringer: Männliche Manager verdienen nur 1,2 % mehr als weibliche Managerinnen. In Italien ist der geschlechtsspezifische Gehaltsunterschied hingegen mit 5,7 % im westeuropäischen Kontext relativ hoch.
Und wie sieht es im weltweiten Vergleich aus?
Verena Vandervelt: Die USA zeigt mit einer Differenz von 1,8 % zwischen Männern und Frauen einen etwas geringeren Unterschied in der Zieldirektvergütung. Dieser recht geringe Gender Pay Gap könnte dadurch begründet sein, dass die USA das erste Land war, in dem dieses Problem auf die politische Agenda gesetzt wurde und schon 1963 ein Gesetz („Equal Pay Act“) zur Beseitigung der Gehaltsunterschiede verabschiedet wurde. In Russland und in ausgewählten asiatischen Ländern sehen wir in Hinsicht auf die Höhe des Gender Pay Gaps dagegen gemischte Ergebnisse.
Jennifer S. Schulz: Im Fall von Russland sind die Ergebnisse der Analyse statistisch nicht signifikant, sodass geschlechterspezifische Vergütungsunterschiede nicht bestätigt werden können. Dies impliziert jedoch nicht, dass die Chancen in Russland gleichverteilt sind, denn der unbereinigte Gender Pay Gap ist mit 33 % zugunsten der männlichen Manager immer noch sehr hoch.
Welches ist das für Sie überraschendste Ergebnis der Analysen?
Verena Vandervelt: Für viele überraschend dürfte der negative Gender Pay Gap zu Gunsten von Frauen in China sein - weibliche Führungskräfte verdienen hier 3.2% mehr als ihre männlichen Kollegen. Gleichzeitig weist China mit 43,6 % den höchsten Anteil an Frauen in Managerpositionen unter allen Ländern in unserem Datensatz auf.
Was sind die Gründe hierfür? Sind die Ergebnisse auf strenge Gesetze oder regulatorische Beschränkungen zurückzuführen?
Verena Vandervelt: China hat ein spezifisches Gesetz zum Schutz der Frauenrechte und Interessen erlassen, das 2005 letztmalig überarbeitet wurde. Das Gesetz fördert die gleiche Bezahlung von Frauen und Männern und könnte zu der Umkehrung des Gehaltsunterschieds zwischen weiblichen und männlichen Managern beigetragen haben. Der unbereinigte Gender Pay Gap beträgt allerdings 6,7 % und fällt immer noch zugunsten der Männer aus. Dieser Unterschied kann hauptsächlich auf das Alter der Stelleninhaber zurückgeführt werden.
Sie haben Ihre Analysen zum Gender Pay Gap in verschiedenen Ländern weltweit durchgeführt. Welche Schlüsse können aus den Ergebnissen gezogen werden?
Jennifer S. Schulz: Abgesehen von Russland konnte in allen untersuchten Ländern ein signifikanter bereinigter Gender Pay Gap festgestellt werden. Momentan ist China das einzige Land, in dem die Gehaltsunterschiede zu Gunsten von Frauen ausfallen. Die stufenweise Regressionsanalyse zeigt, dass die Hauptgründe für Gehaltsunterschiede in den verschiedenen Ländern variieren. Sie reichen von einfachen Altersunterschieden bis zum Anteil der weiblichen Manager auf höheren Management-Ebenen.
Verena Vandervelt: Eine andere wichtige Erkenntnis ist, dass es tatsächlich Unterschiede in den Vergütungshöhen zwischen Männern und Frauen zu geben scheint, auch wenn die Personen die gleiche Tätigkeit mit derselben Berufserfahrung in denselben Unternehmen nachgehen.
Um Inkonsistenzen in den Gehaltshöhen zwischen Mitarbeitergruppen zu verhindern, können Ihre Fair Pay Analysen Unternehmen also wichtige Erkenntnisse liefern.
Verena Vandervelt: Durch eine Fair Pay Analyse können sich Unternehmen als attraktiver Arbeitgeber positionieren und sich gleichzeitig proaktiv auf öffentliche Anfragen genauso wie auf die immer strenger werdenden Veröffentlichungspflichten zu Vergütungsunterschieden im Geschäftsbericht vorbereiten.
Können Sie einen Einfluss der Corona-Krise auf die Diskussion zu Fair Pay erkennen?
Jennifer S. Schulz: In Krisenzeiten, in denen Bonuszahlungen gering sind und sich Unternehmen mit der Kürzung von Arbeitsstunden und Grundgehältern auseinandersetzen, wird die Diskussion zu Fair Pay wichtiger – was wir an der öffentlichen Debatten über die nicht angemessene Bezahlung von Personen in systemkritischen Berufen sehen können. Allerdings sehen wir auch, dass wir zum Schließen der Gehaltsunterschiede anstatt einer einmaligen Gehaltserhöhung gleiche Chancen für Frauen im Berufsleben schaffen müssen - und das ist auch ein politisches Thema.
Verena Vandervelt: Ohne Zweifel ist die aktuelle Homeoffice-Situation insbesondere für Familien mit Kleinkindern herausfordernd. Wir glauben, dass im Zweifelsfall Mütter ihre Arbeitszeit weiter reduzieren werden, um Kinderbetreuung und Home Schooling sicher zu stellen – und möglicherweise eine (erneute) Verlangsamung ihrer Karriere riskieren – und damit verbunden Grenzen für ihre Gehaltsentwicklung setzen.
Frau Schulz, Frau Vandervelt, vielen Dank für das Gespräch.