Am 18. Oktober 2023 diskutierten Verantwortliche aus Unternehmen und Wissenschaft in München die Potenziale von HR-Analytics mit Blick auf die Workforce der Zukunft und hier insbesondere auf die Bedeutung von Re- und Upskilling im Unternehmenskontext. Wie lassen sich in Zeiten permanenter Transformation Kompetenzbedarfe schnell erkennen, vorhersagen und managen? Unter dieser Leitfrage schlug die Veranstaltung eine Brücke zwischen Wissenschaft und Wirtschaft in Form von Impulsen, Werkstattberichten, Best Practice-Darstellungen sowie wissenschaftlichen Erkenntnissen. Sie eröffnete wertvolle Einblicke in die Forschung, zeigte aktuelle Schmerzpunkte von Unternehmen auf und präsentierte tragfähige, innovative Lösungsansätze.

Professor Dr. Florian Englmaier, Professor für Volkswirtschaftslehre und Sprecher der Predictive People Analytics (PPA) Plattform an der Ludwig-Maximilians-Universität München begrüßte als Schirmherr der Veranstaltungsserie von hkp/// group, Ifo Institut und LMU/PPA die Sprecher und Gäste. Zudem präsentierte er mit seiner Kollegin Professor Dr. Ingrid Hägele die Arbeit der Predictive People Analytics (PPA) Plattform. Sie hat das Ziel, Wissenschaft und Praxis im Bereich der modernen Personal- und Organisationsforschung zu verbinden. Die aktuelle Veranstaltung stellte er als ideales Beispiel dar, wie PPA Erkenntnisse führender Forscher mit Praktikern teilt, aber auch dafür sorgt, dass Praxiseinblicke in Forschungsaktivitäten zurückgespiegelt werden – insbesondere auch als Partner und Begleiter für wissenschaftliche Projekte mit und in Unternehmen. 

Die makro-ökonomische Perspektive auf den Fachkräftemangel: Prof. Dr. Clemens Fuest, ifo Institut

Danach legte der Präsident des ifo Instituts, Prof. Dr. Clemens Fuest, zum Auftakt das makroökonomische Fundament. Er verdeutlichte die Dramatik des Rückgangs des verfügbaren Arbeitskräftereservoirs in der deutschen Wirtschaft. So werde dieses aufgrund von Demographie, aber auch zunehmender Teilzeitbeschäftigung und Tendenzen zur generellen Verringerung von Arbeitszeit dramatisch sinken und selbst bei hoher Nettozuwanderung realistisch absehbar nicht mehr das Niveau des Jahres 2020 erreichen. 

Diese Defizite ließen sich – bei allem Optimismus – durch den Markt, sprich Lohnerhöhungen und vergleichbare Anreize, allein nicht kompensieren. Neben einer konsequenten Automatisierung und Digitalisierung von Prozessen in Unternehmen wie auch Verwaltung und einer fortgesetzt intensivierten Integration von ausländischen Arbeitskräften brauche es auch gezielte Anreize und Möglichkeiten, einer Arbeit nachzugehen, wie zum Beispiel Bürgergeld, Einkommensbesteuerung oder Kinderbetreuung. Auch in der Öffentlichkeit ungeliebte Ansätze wie das Zurückfahren von Frühverrentungen zur Verlängerung von Lebensarbeitszeit gelte es, mit Nachdruck zu realisieren. 
Schließlich seien es aber auch Maßnahmen der Aus- und Weiterbildung, die Unternehmen in der Adressierung der begrenzten Verfügbarkeit von Arbeitskräften unterstützen können. Um hier mit wirksamen Lösungen agieren zu können, brauche es jedoch ein besseres Grundverständnis von zentralen Kriterien und Kennzahlen des Human Capital Managements. Die Kooperation von ifo Institut, LMU/PPA und hkp/// group ziele daher in die richtige Richtung. 

HR-Analytics im Kontext von Regulatorik und Nachhaltigkeit: Petra Knab-Hägele, hkp/// group

Aus Sicht von Petra Knab-Hägele, Senior Partner und Leiterin Strategic HR Advisory bei hkp/// group, wird das von ihrem Vorredner geforderte Grundverständnis von Prozessen und Kennzahlen im HR-Management nicht zuletzt durch neue regulatorische Forderungen zunehmen. So müssten beispielsweise durch die European Sustainability Reporting Standards (ESRS) und insbesondere durch deren S1 Standard mit Bezug auf die „own workforce“ Unternehmen auf europäischer Ebene zukünftig auf jährlicher Basis zentrale Kennzahlen des Human Capital Managements berichten. Das Erheben dieser Kennzahlen stelle für viele Unternehmen einen Kraftakt dar. So existieren oft keine konzeptionellen Rahmen und selbst Teilorganisationen arbeiten vielfach mit unterschiedlichen Kennzahlen oder mit unterschiedlichen Standards. Hinzu kommen zum Teil grundverschiedene technische bzw. technologische Plattformen, die eine durchgängige Transparenz, Verfügbarkeit und Qualität von Daten unterstützen.

Die erfahrene Beraterin verwies darauf, dass es im Kontext von HR Analytics nicht nur um die Pflicht der Berichterstattung geht, sondern auch darum, für das eigene Workforce-Management Daten in handlungsleitender Qualität und Quantität zur Verfügung zu haben. Denn Unternehmen können nur effizient und effektiv im Rahmen ihrer Transformationsagenda agieren, wenn sie wissen, wohin sie steuern und dafür die relevanten Kennzahlen identifiziert haben. Dies sei auch Voraussetzung für ein glaubwürdiges Narrativ in der Kommunikation gegenüber Investoren und Stakeholdern.

Petra Knab-Hägele verwies auch auf eine aktuelle Kurzbefragung von LMU München und hkp/// group im Vorfeld der Veranstaltung. Diese zeigt: Unternehmen sehen den konzeptionellen und technischen Aufwand sowie die Einbindung der Mitbestimmungsseite als Herausforderungen für HR Analytics Projekte. Laut Befragung blicken Unternehmen im Wesentlichen positiv auf das Potenzial von HR Analytics und versprechen sich davon einen durchgehend hohen Nutzen, insbesondere in der quantitativen und qualitativen Personalplanung, bei der Erfüllung von regulatorischen Berichtspflichten wie auch im Re- und Upskilling. Speziell die fortlaufende Identifizierung aktueller Qualifikationen und das Investment in zukünftige Fähigkeiten und Kenntnisse der Belegschaft bewertete die Unternehmensberaterin angesichts der sich verschärfenden Fach- und Arbeitskräftenachfrage als einen wesentlichen Erfolgsfaktor für eine nachhaltig erfolgreiche Umsetzung von Geschäftsstrategien.

Quantitatives Workforce Planning: Kay Nolden, Deutsche Telekom

Dem breiten Marktbild folgten konkrete Einblicke in die HR-Analytics-Praxis. Als erstes stellte Kay Nolden, VP Workforce Planning und Workforce Analytics bei Deutsche Telekom AG, den Status sowie verschiedene Maßnahmen im Rahmen der quantitativen Workforce-Planung vor. Dabei verwies er darauf, dass die Personalplanung zentraler Bestandteil des integrierten Planungs- und Führungsprozesses (iPF) des Konzerns sei, der im Ganzen rund 30 HR-Management-Kenngrößen (KPI) berücksichtige – inklusive Headcount, Fluktuation und spezifische Kosten. Ziel sei es, Überraschungsmomente in der personalwirtschaftlichen Entwicklung des Konzerns zu verhindern und gleichzeitig Transparenz über Anforderungen und Lösungen im Unternehmen zu schaffen. Die enge Abstimmung mit CEO und CFO sei dabei ein wichtiger Erfolgsfaktor.

Speziell für die Personalplanung wurden Langzeitszenarien entwickelt und auch kurzfristige Entwicklungen, wie Angebote zur Frühverrentung bzw. vorzeitigem Ausscheiden aus dem Unternehmen, berücksichtigt. Dabei kommen in ersten Zügen auch KI-basierte Vorhersagemodelle für die Entwicklung der Personalkosten für verschiedene Länder und Geschäftsbereiche zum Einsatz. Ziel sei es, diese Entwicklung weiter voranzutreiben und das von HR getriebene Workforce Planning noch stärker in die strategische Konzernplanung zu integrieren und auf Basis vielfältiger Bedarfsszenarien noch verlässlichere Langfrist-Vorhersagen zu ermöglichen.

Bislang schließt der Strategic Workforce Planning Prozess im Konzern rund 130.000 FTE ein. Positive Effekte sind bereits offensichtlich. So kennt man nun Anforderungen wie aktuelle und zukünftige Job-Profile, hat einen Lernprozess innerhalb des Managements initiiert – mit konkreten Ergebnissen –  und hat letztlich zu einer stärkeren Sichtbarkeit und höheren Wertschätzung von HR im Unternehmen geführt. 

Ein modularer Ansatz im Re- und Up-Skilling: Ann-Kathrin Altendorfer, Siemens 

Ann-Kathrin Altendorfer, Project Manager Transformation & Enablement bei der Siemens AG, präsentierte Aspekte und Lösungen in der systematischen Realisierung von Re- und Up-Skilling-Potenzialen und hier insbesondere einen konzeptionellen Ansatz bzw. modularen Baukasten, den der Konzern auch anderen Unternehmen zur Verfügung stellt. 

Ausgehend von Frage, wie sich die eigene Belegschaft systematisch und konkret auf den Strukturwandel vorbereiten lässt, wurde ein Projektteam gebildet, das zunächst bestehende Skills für ausgesuchte Job-Profile analysierte und diese mit Zielbildern abgeglichen hat. Letztlich wurden in das NEXTWORK getaufte Projekt rund 80.000 Mitarbeitende aus mehr als 30 Ländern und 95 % der Job-Familien einbezogen. Im Ergebnis lag eine konkrete und umsetzbare Roadmap mittels Kompetenzprofilen für jedes (neue) Job-Profil vor und wurde – auch im internationalen Rahmen – pilotiert, um anschließend über Kontinente skaliert zu werden. 

In Abgrenzung zu bisherigen Ansätzen in der Analyse und Realisierung von Re- bzw. Upskilling-Potenzialen wurden und werden eine Reihe von Faktoren berücksichtigt. Dazu zählen die Analyse externer Trends und strategischer Geschäftsentscheidungen und ihre Wirkung auf Mitarbeitende – sowohl qualitativ als auch quantitativ. Im Sinne der Motivation wurden auch konkrete Handlungsbedarfe aufgezeigt und Maßnahmen dazu definiert. Auch das Herunterbrechen von zukünftigen Personalanforderungen, z.B. auf Jobprofile, Geschäftsbereiche oder Regionen, zählt zu den projektspezifischen Erfolgsfaktoren. Hinzu kommen eine flexible und modulare Methodik, die auf bestehenden Strukturen aufbaut und an die konkreten Geschäftsanforderungen angepasst ist. Last but not least wurde als Ziel die Stärkung der organisationalen Anpassungsfähigkeit durch kontinuierliche Verbesserungen definiert.

Erkenntnisse zu Umschulung und Qualifizierung: Jorge Tamayo, Harvard Business School

Wissenschaftliche Erkenntnisse zur Umschulung und Umqualifizierung von Mitarbeitenden in global agierenden Unternehmen lieferte Jorge Tamayo, Assistant Professor of Business Administration in der Strategy Unit an der Havard Business School. Er stellte dazu die in diesem Themenfeld führende Arbeit des Digital Reskilling Labs vor, das sich zur Aufgabe gemacht hat, Daten und Best Practices zu entsprechenden Aus- und Weiterbildungsinitiativen zu sammeln, um Erfolgsfaktoren zu identifizieren. 

Basierend auf den Forschungen des Digital Re-Skilling Labs komme dem mittleren und unteren Management eine entscheidende Bedeutung in der Erkennung von individuellen Skill-Bedarfen und der Notwendigkeiten von Aus- und Weiterbildung zu. Dabei ist es vor allem wichtig für Unternehmen, entsprechende Anreize für Führungskräfte zu setzen, um die Weiterbildung von Mitarbeitenden zu fördern. Aktuelle Forschungsergebnisse belegen auch, dass gerade beim Re-Skilling eine wichtige Hürde das Selbstbild von Mitarbeitenden ist. Wenn Mitarbeitende sich selbst nicht in einer anderen Position sehen, haben Unternehmen Schwierigkeiten, Interessierte zu finden. Gleichzeitig melden sich auch Mitarbeitende für Aus- und Weiterbildungsangebote, bei denen die Notwendigkeit nicht oder nicht zwingend gegeben ist. Diesen zweiseitigen Mismatch aufzulösen, identifizierte er als eine zentrale Herausforderung.

Podiumsdiskussion

Die abschließende Podiumsdiskussion zwischen den Referentinnen und Referenten des Tages, moderiert von Dr. Cornelia Geißler, Bereichsleiterin Kommunikation am ifo Institut, zeigte nochmal die Potenziale, aber auch die Herausforderungen in den Bereichen Skill Management und HR Analytics auf. Professor Dr. Oliver Falck, Leiter des Zentrums für Industrieökonomik und neue Technologien am ifo Institut, bereicherte hier den Austausch, in dem er aktuelle und belastbare Zahlen zum tatsächlichen Fachkräftemangel über Sektoren und Regionen hinweg lieferte.

Insgesamt machte die Veranstaltung deutlich: Moderne Technologie in HR Analytics ist für eine intelligente Workforce-Planung, die den transformatorischen Entwicklungen gerecht wird, unerlässlich. Insbesondere die größeren Unternehmen setzen sich damit schon gezielt auseinander. Viele Anwendungen sind bereits im Einsatz und liefern wertvolle Informationen. Hierfür bedarf es jedoch vorab eine Bereitschaft zur intellektuellen Auseinandersetzung mit dem Thema, Investitionen – sowohl in finanzieller Form als auch auf konzeptioneller Basis – und in Form organisationaler Zusammenarbeit. Die Workforce der Zukunft braucht mehr Flexibilität im Skill Management. Sie braucht aber vor allem auch digitale und methodische Kompetenzen sowie eine solide Datenbasis in den Unternehmen.
 

Autor Thomas Müller

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