Sehr geehrter Herr Professor Seibert,
zunächst möchten wir uns für die Gelegenheit bedanken, zum Referentenentwurf des Gesetzes zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (im Folgenden: ARUG II) Stellung nehmen zu können.
Als Unternehmensberatung an der Schnittstelle von Strategie, Finanzen und Personal berät die hkp/// group u. a. in den Themenfeldern Corporate Governance und Organvergütung. Seit vielen Jahren engagieren wir uns insbesondere in Fragen der Transparenz, Berichterstattung und Dialogprozessen zwischen Unternehmen und institutionellen Investoren, z. B. in der DRSC-Arbeitsgruppe zum DRS 17. Unser Gründer und Managing Partner, Herr Michael Kramarsch, hat u. a. mehrfach als Sachverständiger die Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex (DCGK) zu Fragen der Vorstandsvergütung beraten (jedoch nicht im aktuellen DCGK-Entwurf).
Vor dem Hintergrund unseres Engagements und unserer Expertise möchten wir daher im Folgenden ausschließlich zu einigen aus unserer Sicht zentralen Fragestellungen rund um das Thema Vorstandsvergütung und Say on Pay im ARUG II Stellung nehmen.
1. Allgemeines
Der Referentenentwurf des ARUG II räumt der Hauptversammlung in Umsetzung der Zweiten Europäischen Aktionärsrechterichtlinie (im Folgenden: 2. ARR) signifikante Mitspracherechte bei der Vergütung des Vorstands ein. Vorstandsvergütung wird oft als eine bloße Entscheidung des Aufsichtsrats über die „richtige“ Bezahlung missverstanden bzw. unterschätzt. Tatsächlich wird im Rahmen der Vorstandsvergütung über Unternehmenszielsetzungen, die strategische und operative Planung, Nachhaltigkeitsziele und vieles mehr entschieden – im Kern geht es also darum, wie Unternehmen geführt und auf welche (strategischen) Ziele sie ausgerichtet werden. Dieser Hinweis erscheint uns wichtig, da infolge der neuen Regelungen künftig bestimmte Akteure – nämlich institutionelle Investoren und Stimmrechtsberater/Proxy Advisors – einen deutlich größeren Einfluss auf die Vorstandsvergütung haben werden. Seit vielen Jahren beschäftigen wir uns im Rahmen von Projekten und Studien mit Investorenanforderungen. In einer Untersuchung zusammen mit dem DIRK (Deutscher Investor Relations Verband) und der Universität Göttingen haben wir im Herbst 2018 die Abstimmungsrichtlinien der größten 40 institutionellen Investoren im DAX zur Vorstandsvergütung analysiert.
Der Befund ist erschreckend. Neben einigen wenigen positiven Ausnahmen (u. a. CalPERS, BlackRock, DWS, Allianz Global Investors) ist die überwiegende Mehrzahl der Investoren entweder nicht in der Lage oder nicht willens, sich selbst klare Regeln für ihre Entscheidungen in Sachen Vorstandsvergütung zu geben. Damit droht in wichtigen Fragen der Unternehmensführung, wie sie die Vorstandsvergütung darstellt, ein Kontrollverlust. Unternehmen haben keine belastbaren Informationen zu den Erwartungen der Investoren, an denen sie ihre Vergütungssysteme ausrichten können; es droht Beliebigkeit. Gleichzeitig leiten die Angestellten von institutionellen Investoren ihre „Zuständigkeit“ und behauptete Eigentümerrolle aus ihrer treuhänderischen Pflicht gegenüber den Geldgebern ab. Solange nicht belastbar kommuniziert wird, wie man gedenkt abzustimmen und wie man tatsächlich abgestimmt hat, trägt dieses Argument jedoch nicht. Vielmehr wird immer wieder unter dem Deckmäntelchen fiduziarischer Pflichten „eigene Politik“ betrieben.
Wir sehen auf Basis dieses empirischen Befunds keine Basis, ein Say on Pay-Votum in rechtlich bindender Form einzuführen und sprechen die deutliche Empfehlung aus, institutionelle Investoren – und damit auch deren Stimmrechtsberater – regulatorisch „einzuhegen“ und werden dies im Folgenden erläutern.
2. Votum der Hauptversammlung zur Vergütungspolitik
Wir begrüßen ausdrücklich, dass der Referentenentwurf den Spielraum der 2. ARR explizit nutzt und ein nicht-bindendes Votum der Hauptversammlung zur Vergütungspolitik vorsieht, da die auf der Hauptversammlung maßgeblichen institutionellen Investoren mehrheitlich offenbar über keine belastbaren Grundsätze zur Beurteilung der durch die Unternehmen vorgelegten Vergütungssysteme verfügen. Durch die mehr als mangelhafte eigene Befassung der institutionellen Investoren zu Fragen der Vorstandsvergütung gewinnen Stimmrechtsberater – insbesondere das globale Duopol von ISS und Glass Lewis/Ivox – erst den heute oft kritisierten Einfluss.
Darüber hinaus würde ein verbindliches Votum der Hauptversammlung zur Vergütungspolitik erheblich und nachteilig in das Verantwortungsgefüge von Hauptversammlung und Aufsichtsrat eingreifen. Letzterer haftet nicht nur für seine Entscheidungen zur Vorstandsvergütung (§§ 93, 116, insbes. Satz 3 AktG), sondern verfügt über die notwendige Sachkenntnis und Kenntnis des jeweiligen Unternehmens zur Beurteilung der zahlreichen komplexen Fragen, die sich im Zusammenhang mit der Ausarbeitung einer Vergütungspolitik stellen. Warum zu diesen Fragestellungen institutionelle Investoren und Stimmrechtsberater durch – oft lediglich in Minuten zu messendes – Lesen eines Vergütungsberichts unternehmensindividuelle Sachverhalte besser beurteilen können sollten, erschließt sich uns nicht.
Im Übrigen sind wir auf der Grundlage unserer langjährigen Beobachtung der Entwicklung des Say on Pay der Überzeugung, dass auch ein nicht-bindendes negatives Votum der Hauptversammlung zur Vergütungspolitik einen ausreichenden faktischen Zwang für den Aufsichtsrat entfaltet, Änderungen an der Vergütungspolitik vorzunehmen. Dies bestätigt die bisherige Praxis zu den HV-Beschlüssen unter der aktuellen Fassung des § 120 Abs. 4 AktG und die Reaktion der Unternehmen bei Vorliegen einer erheblichen Anzahl an Gegenstimmen. Wir möchten auch zu bedenken geben, dass die rechtliche vorgesehene Zustimmungsschwelle einer einfachen Stimmenmehrheit nicht die Unternehmenspraxis abbildet. Regelmäßig werden als Zustimmung von Investoren Stimmenmehrheiten von 75 % bis 80 % erwartet (siehe BVI et al).
3. Stewardship
Im Rahmen verantwortlichen Investierens sind institutionelle Investoren zweifach gefordert. Zum einen sind Transparenz und Berechenbarkeit gegenüber den Unternehmen zu schaffen, in die investiert wird, zum anderen aber auch gleichermaßen Transparenz und Berechenbarkeit gegenüber ihren Geldgebern. Wir begrüßen daher das Bestreben der 2. ARR und des Referentenentwurfs zum ARUG II, entsprechende Berichtspflichten der institutionellen Anleger und Vermögensverwalter gegenüber Emittenten und Geldgebern zu etablieren. Jedoch sind wir der Meinung, dass die vorgesehenen Instrumente deutlich zu kurz greifen bzw. nicht ausreichend sind. Es kann nicht sein, dass Unternehmen und ihren Aufsichtsräten detaillierte Entscheidungsgrundsätze und Berichtspflichten aufgegeben werden, ohne dass vergleichbare Vorschriften reziprok auch institutionelle Investoren treffen.
Wir schlagen daher vor, analog zu § 161 AktG (Verankerung des DCGK) durch eine Regierungskommission einen Stewardship Kodex ausarbeiten zu lassen, der Empfehlungen für verantwortliches Investieren in Deutschland enthält. Institutionelle Investoren müssen sich zur Befolgung der Empfehlungen dieses Kodex erklären („comply or explain“). Insofern schließen wir uns den Empfehlungen von Hermes Equity Ownership Services Limited (Schreiben vom 30. November 2018) an.
Zumindest aber sollte die Möglichkeit für institutionelle Anleger und Vermögensverwalter nach § 134b Abs. 4 AktG-E, die Vorgaben des § 134b Abs. 1 bis 3 AktG-E nicht zu erfüllen, gestrichen werden.
4. Offenlegung der Vorstandsvergütung
Die Darstellung der Angaben zur Vorstands- und Aufsichtsratsvergütung in einem eigenen Vergütungsbericht (§ 162 AktG-E) erscheint aus unserer Sicht grundsätzlich als sinnvoller und zielführender Ansatz. Allerdings verbleiben wichtige Vorschriften zur Offenlegung der Vorstandsvergütung weiterhin im HGB (sowie im DCGK). Aus unserer Sicht sollte aus Gründen der Klarheit und Übersichtlichkeit erwogen werden, sämtliche Vorschriften zur Berichterstattung über die Vergütung des Vorstands an einer einzigen Stelle zu bündeln.
Darüber hinaus wird die aktuell bestehende Ungleichbehandlung ökonomisch gleicher Sachverhalte im Ausweis der Langfristvergütung durch § 162 AktG-E zusammen mit den bestehen bleibenden HGB-Vorgaben nicht beseitigt. Diese Ungleichbehandlung betrifft den Ausweis aktienbasierter Bezüge, die gemäß HGB lediglich bei Gewährung (sprich: bei ihrer bedingten Zuteilung) mit ihrem beizulegenden Zeitwert in die Gesamtbezüge einzubeziehen sind, während nicht aktienbasierte Bezüge erst dann einzubeziehen sind, wenn die zugrundeliegende Tätigkeit erbracht wurde und etwaige aufschiebende Bedingungen erfüllt bzw. auflösende Bedingungen weggefallen sind. Dies führt dazu, dass – anders als in den bestehenden DCGK-Mustertabellen – Unternehmen mit aktienbasierten Langfristvergütungen diese bereits zum Start der Performanceperiode (und somit zum Gewährungswert und vollkommen unabhängig vom späteren Auszahlungs-/Zuflussbetrag) und Unternehmen mit nicht aktienbasierten Langfristvergütungen diese erst bei Ablauf der Performanceperiode (und somit zum Auszahlungs-/Zuflussbetrag) ausweisen müssen. Wir regen an, diese unterschiedliche Behandlung im Ausweis der langfristigen variablen Vergütung im Zuge der Umsetzung der 2. ARR zu beseitigen.
Außerdem erscheinen uns die im Referentenentwurf des ARUG II verwendeten Begrifflichkeiten noch nicht vollkommen klar und abgestimmt. § 162 AktG-E stellt etwa auf die „gewährte“ Vergütung ab, wobei aber nicht erläutert wird, was hierunter exakt zu verstehen ist. Dasselbe gilt unserer Ansicht nach für den Begriff der „geschuldeten“ Vergütung sowie für den Unterschied zwischen geschuldeter und gewährter Vergütung. Erschwerend kommt hinzu, dass „Gewährung“ auch in den weiterhin gültigen Vorschriften des HGB für den Anhang/Konzernanhang nicht einheitlich verwendet wird.
Im Übrigen möchten wir uns hier der sehr detaillierten Stellungnahme des DRSC (Schreiben vom 6. Dezember 2018) anschließen.
Für weitere Rückfragen stehen wir Ihnen selbstverständlich gerne zur Verfügung und verbleiben mit freundlichen Grüßen
Dr. Jan Dörrwächter, Senior Partner
Michael H. Kramarsch, Managing Partner
Regine Siepmann, Partner