Das geschlechtsspezifische Gehaltsgefälle ist ein Trendthema, das oft durch kühne Aussagen auffällt, wie zum Beispiel: "Frauen verdienen 77 Cent für jeden Dollar, den Männer verdienen".
Artikel über den sogenannten „Gender Pay Gap“ konzentrieren sich häufig entweder auf den unbereinigten geschlechtsspezifischen Gehaltsunterschied oder den Prozentsatz von Frauen in den Vorständen von Unternehmen. Dies führt mitunter zu Augenwischerei, beispielsweise durch die externe Einstellung einer Frau, um die Frauenquote von 30 % in Vorständen zu erreichen. Auch werden oftmals falsche Schlussfolgerungen gezogen – zum Beispiel durch den Glauben daran, dass es genügend weibliche Führungskräfte gibt, sobald eine Vorstandsquote erreicht ist. Auch unangemessene Maßnahmen sind immer wieder zu beobachten, da es an der Einsicht in die Geschlechterverhältnisse und die Nachfolgeplanung unterhalb des Vorstands fehlt.
In diesem Artikel beleuchte ich den kontextuellen Hintergrund und gebe Einsicht in hierzu relevante, globale Marktdaten. Sie stammen aus dem Global ExecuNet* – dem Charter Survey Network von hkp/// RemuNet. Darüber hinaus stelle ich einen ganzheitlichen Ansatz zur Beurteilung des Gender Pay Gap vor.
Verschiedene Ansätze, verschiedene Ergebnisse
Unterschiedliche Ansätze führen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Dies gilt auch und vor allem für den geschlechtsspezifischen Gehaltsunterschied. Das nachstehende Piktogramm skizziert ein einfaches statistisches – aber reales – Beispiel für die große Bandbreite der Ergebnisse unter drei verschiedenen Analysemethoden:
Die erste Methodik lässt sich als (1) „Uncontrolled – Entire Population” bezeichnen. Sie beinhaltet einen direkten Vergleich der Grundvergütungen zwischen den teilnehmenden Unternehmen im Median, ohne jegliche Kontrollvariable. In einem Survey Netzwerk, in der sich die teilnehmenden Unternehmen verpflichten, mit gemeinsamen Wertigkeitsebenen zu arbeiten, kann auch die (2) „Per Netgrade – Entire Population” Methodik verwendet werden. Im Rahmen dieses Ansatzes werden die Gehälter von Männern und Frauen auf derselben, einheitlich definierten Wertigkeitsebene (d.h. pro Netgrade) verglichen. Wir schlagen indes die granularste Methode vor, die die Gehaltsphilosophie und Stellenbewertung der Unternehmen berücksichtigt: (3) „Per Company Grade“. Sie bezieht auch mit ein, dass manche Unternehmen oder Branchen eventuell mehr zahlen als andere. Zudem berücksichtigt sie die Besonderheiten der jeweiligen Grades bzw. Wertigkeitsschnitteinnerhalb der Unternehmen (z.B. schmalbandig vs. breitbandig).
Abb. 1: Mess-Methoden des Gender Pay Gap
Der „like-for-like“ Vergleich
Die erste Methode („Uncontrolled – Entire Population”) resultiert in dem oft berichteten unbereinigten Gender Pay Gap. Über alle Unternehmen weltweit hinweg beträgt dieses im vorliegenden Datensatz von Management-Positionen bis hin zu leitenden Angestellten -9,4%. Fügen wir eine Kontrollvariable mit Bezug auf Wertigkeitsebenen ein („Per Netgrade – Entire Population”), um die Verzerrung durch die wenigen Frauen an der Spitze der Unternehmen zu bereinigen, verringert sich der Abstand auf -5,9%. Wenn man schließlich noch eine Analyse nach unternehmensspezifischen Wertigkeiten vornimmt, verringert sich der geschlechtsspezifische Gehaltsunterschied in diesem globalen Datensatz weiter auf -2,5%.
Basierend auf meiner Erfahrung zeigt es sich immer wieder, dass sich die Gehaltsunterschiede verringern, je differenzierteren und umfassender eine Analyse angelegt ist – und zum Beispiel zusätzliche Elemente wie die Berufsjahre in der Position und frühere Leistungen berücksichtigt. So ergibt eine Analyse unter Berücksichtigung der gleichen Rahmenbedingungen für Männer und Frauen („like-for-like“ Vergleich) oft keinen signifikanten geschlechtsspezifischen Gehaltsunterschied.
Dies zeigen auch die globalen Ergebnisse für die drei Methoden in verschiedenen Ländern und Regionen der Welt. Bei Anwendung der dritten Methodik, die die Wertigkeiten im Unternehmen einbezieht, ergibt sich gegenüber der unbereinigten Analysemethodik folgendes Bild: In den Vereinigten Staaten verringert sich der Gehaltsunterschied von -7,4% auf -1,7% und in der Eurozone von -10% auf -3,4%. In China lässt sich sogar ein positives Gehaltsgefälle feststellen, das Frauen einen höheren Verdienst als Männern attestiert (siehe Abb. 2).
Abb. 2: Ergebnisse der Gender Pay Gap Analyse-Methodiken i.B. auf unterschiedliche Regionen
Vor allem bei der Anwendung der unternehmensspezifischen Wertigkeiten („Per Company Grade“) lassen sich signifikante Unterschiede zwischen einzelnen Ländern beobachten. So ist der Gender Pay Gap in den Niederlanden mit -6.3% besonders hoch. China stellt hingegen das einzige Land im Datensatz dar, in dem Frauen mehr verdienen als Männer (siehe Abb. 3).
Abb. 3: Die Gender Pay Gap in unterschiedlichen Ländern
Der „Gender Opportunity Gap“
Warum sind die Ergebnisse bei der unbereinigtenAnalyse population (Methode 1) höher als bei den Methoden, die unterschiedliche Wertigkeiten berücksichtigen? Der Grund dafür liegt in der Tatsache, dass Frauen seltener in höhere und somit besser bezahlte Positionen aufsteigen als Männer. Dieser Umstand kann als geschlechtsspezifisches Chancengefälle – oder als „Gender Opportunity Gap“ – bezeichnet werden. Es lässt sich mit einem Blick auf die Geschlechterverhältnisse weiter analysieren.
Frauen sind in Geschäftsführungen oft unterrepräsentiert, aber wie ist das auf den Ebenen unterhalb des Vorstands? Weltweit beobachten wir, dass Frauen hier deutlich unterrepräsentiert sind. Auf Wertigkeitsstufe IV („Netgrade IV“) – in der Regel eine zweite Manager-Rolle mit etwa 10 Jahren Erfahrung – sind in Europa und APAC (ohne China) weniger als 30 % Frauen vertreten. Wenn man auf der Karriereleiter vorankommt, sinkt dieser Anteil weiter auf ein Verhältnis von eins zu zehn bei „Netgrade I“, das regionale CEO-Rollen repräsentiert. China übertrifft andere Länder und Regionen überraschenderweise mit einem etwa doppelt so hohen Prozentsatz an Frauen in der höchsten Wertigkeitsstufe (siehe Abb. 4).
Abb. 4 Geschlechterverhältnis nach Wertigkeitsstufen in ausgesuchten Regionen
In der Pipeline für zukünftige Vorstandspositionen fehlt es an Frauen
Diese Statistiken sind beunruhigend, da sie darauf hinweisen, dass es in der Pipeline für künftige Vorstandspositionen einen erheblichen Mangel an Frauen gibt. Es ist wichtig, dass sich die Unternehmen mit diesem Thema befassen und untersuchen, wie sie dafür sorgen können, dass mehr Frauen es auf die Führungsebenen schaffen können. Es müssen Rekrutierungspools aufgebaut werden, die dafür sorgen, dass zukünftig mehr weibliche Führungskräfte und schließlich auch Vorstandsmitglieder aktiv werden.
Daher empfehle ich, genau diese Verhältnisse weiter zu erforschen – vorzugsweise unter Berücksichtigung des Alters und der Beförderungsquoten (Prozentsatz von Frauen im Bewerberpool, Prozentsatz der bewerteten und Prozentsatz der ausgewählten Frauen).
In den europäischen Ländern beobachten wir signifikante Unterschiede zwischen der Zahl der Frauen auf den unterschiedlichen Wertigkeitsebenen. In keinem der Länder liegt sie jedoch über der 30 %-Schwelle. Die geringste Anzahl von weiblichen Führungskräften auf Wertigkeitsebene IV („Netgrade IV“) ist in den Niederlanden zu finden, wo gerade einmal eine von fünf Personen weiblich ist. Auf Wertigkeitsebene I stellt Frankreich das Schlusslicht dar. In der Schweiz sind etwa zwei von fünf Führungskräften auf Wertigkeits-Level IV weiblich, auf Level I sind es nur noch eine von zehn Personen (siehe Abb. 5).
Abb. 5: Geschlechterverhältisse in ausgewählten Ländern Europas
Es braucht einen ganzheitlichen Ansatz
Die Bestimmung des Gender Pay Gaps und der Geschlechterverhältnisse sind gute erste Schritte im Prozess der Bestimmung geschlechtsspezifischer Unterschiede. Ich empfehle dabei jedoch einen ganzheitlichen Ansatz zu wählen, bei dem beispielsweise auch Einstellungsdaten (z. B. für welche Positionen sich Frauen bewerben), Beförderungsraten, Leistungsbewertungen und andere Aspekte der Vergütung (z. B. Einstiegsgehälter, Gehaltserhöhungen, Zielerreichung der variablen Vergütung) gründlich bewertet werden.
Die nachstehende Grafik zeigt die Gehaltserhöhungen pro Land in Europa. Wir beobachten, dass in vielen Ländern Frauen eine höhere Gehaltserhöhung erhalten als Männer. Es ist wichtig, den Grund dafür zu ermitteln, da er – unter anderem – zurückzuführen sein könnte auf Leistung, eine niedrigere Position im jeweiligen Gehaltsbandoder einfach höhere Gehaltssteigerungen, unabhängig von Leistungsunterschieden (siehe Abb. 6).
Abb. 6: Grundeinkommenssteigerungen in ausgewählten Ländern Europas
Daran anschließende Untersuchungen könnten sich auf Leistungsunterschiede konzentrieren. Analysen unseres Global ExecuNet Surveys zeigen hier – wie in Abbildung 7 dargestellt – zum Beispiel interessante Unterschiede zwischen den Geschlechtern auf, wonach Frauen häufiger überperformen. Das könnte die Diskrepanzen bei den Gehaltserhöhungen erklären.
Abb. 7: Geschlechtsspezifische Verteilung auf Performance-Kategorien
Stellen Sie die richtigen Fragen
Bei der Ermittlung des Gender Pay Gapsist es wichtig, gezielt die richtigen Fragen zu stellen. Ein ganzheitlicher Ansatz ist unerlässlich, um die wirklich zugrunde liegenden Probleme zu identifizieren und diese mit geeigneten Maßnahmen anzugehen.
Nach meiner Erfahrung ist es besonders wertvoll, Daten in einem vergleichenden Kontext zu betrachten. Ich werde nie eine Diskussion mit einem CHRO vergessen, die ich vor einigen Jahren hatte. Er bat uns, eine bestimmte Mitarbeitergruppe in der Organisation (Frauen im Televerkauf) zu untersuchen, die seiner Meinung nach unterdurchschnittliche Leistungen erbrachte (geringe Performance, hohe Fehlzeiten). Dies traf tatsächlich zu, wenn man sie mit anderen Mitarbeitergruppen in diesem Unternehmen verglich. Als wir sie jedoch mit der gleichen Gruppe in anderen Unternehmen verglichen, stellten wir tatsächlich fest, dass sie deutlich besser abschnitt als Mitarbeitende, die dieselbe Tätigkeit in ähnlichen Unternehmen ausführten.
(*) Die analysierten Daten stammen aus dem Global ExecuNet Survey der hkp/// group. Die durch den Survey abgedeckten Daten umfassen Positionen von Management- bis Senior Executive-Level. Daraus ergibt sich eine natürliche Verzerrung der Daten. Gemäß der Erhebungsmethode sind alle Daten in Vollzeitäquivalenten angegeben (die Anzahl der Teilzeitkräfte in diesem Datensatz ist ohnehin sehr gering).
Barry Kitz ist Manager bei hkp/// RemuNet und leitet dort die Analytics Practice. Seine Leidenschaft gilt der Datenanalyse und -visualisierung.