Mythen und Meinungen darüber, welche Faktoren die Management-Vergütung in weltweiten Unternehmen treiben, gibt es viele – und sie werden durch die fortwährende Debatte um den Gender Pay Gap befeuert. Doch welche Aussagen halten einer systematischen Überprüfung stand? hkp.com sprach mit den hkp/// group Vergütungsexpertinnen Jennifer S. Schulz und Verena Vandervelt.
Frau Schulz, Frau Vandervelt, was sind die in Ihren Augen entscheidenden Treiber in der Management-Vergütung – oder mit anderen Worten: Welche Faktoren haben welchen Einfluss auf deren Höhe?
Jennifer S. Schulz: Es gibt hier nicht die eine alles erklärende Antwort, denn es ist ein Geflecht an Faktoren, das in dieser Hinsicht Bedeutung hat. Der erste Treiber von Management-Vergütung weltweit ist die Funktionswertigkeit. Diese bemisst das Anforderungsprofil einer Funktion u. a. im Hinblick auf die Aufgabenkomplexität und den Einfluss auf Strategie bzw. Ergebnisse. Ebenso ist die Verortung einer Position in einer Funktionsfamilie, zum Beispiel Finanzen oder HR, relevant für die Vergütungshöhe. Aber natürlich haben darüber hinaus auch individuelle Faktoren Bedeutung. Denken Sie an Alter und Geschlecht einer Führungskraft.
… und die Branchenzugehörigkeit?
Verena Vandervelt: Selbstverständlich beeinflussen auch die spezifischen Merkmale eines Unternehmens die Vergütung, insbesondere Größe und Branche, aber auch die Vergütungsphilosophie und die strategische Positionierung der Vergütungen im Markt.
Welches Gewicht haben die einzelnen von Ihnen angeführten Faktoren? Gibt es maßgebliche Treiber, die weltweit die Management-Vergütung erklären?
Verena Vandervelt: Für eine systematische Analyse des Einflusses dieser Faktoren sind umfangreiche und belastbare Daten unerlässlich. Unsere entsprechenden Auswertungen umfassen Vergütungs- und Unternehmensdaten von Führungskräften in 60 Ländern weltweit. Und diese zeigen, dass zwar in Teilen übergeordnete Gemeinsamkeiten in der Wichtigkeit der verschiedenen Einflussfaktoren weltweit vorliegen, es aber auch erhebliche Unterschiede in der Gewichtung einzelner Vergütungstreiber gibt, auch regional.
Jennifer S. Schulz: Unsere anspruchsvollen ökonometrischen Verfahren erlauben es, verschiedene Einflussfaktoren gleichzeitig einzubeziehen und mit hoher Präzision zu quantifizieren, in welchem Ausmaß einzelne Treiber erklären können, warum manche Führungskräfte mehr verdienen als andere.
Nun lassen sich trotz anspruchsvollster statistischer Verfahren sicherlich nicht alle Vergütungsunterschiede erklären. Wie groß sind denn die weißen Flecken?
Jennifer S. Schulz: Letztlich erklären eine Hand voll Treiber den Großteil der Vergütungsunterschiede; unerklärt bleiben z. B. für Deutschland nur etwas mehr als ein Zehntel der Gesamtunterschiede. Sie sind entweder auf weitere, für unsere Analysen nicht verfügbare Einflussfaktoren zurückzuführen oder unterliegen unsystematischen Einflüssen wie dem Zufall.
Lassen Sie uns zunächst in Deutschland bleiben. Was sind hier die maßgeblichen Einflussfaktoren auf die Höhe der Management-Vergütung?
Verena Vandervelt: Die Funktionswertigkeit ist in Deutschland der mit Abstand wichtigste Treiber und erklärt zu mehr als der Hälfte Vergütungsunterschiede zwischen Führungskräften.
Hat Sie dieses Ergebnis überrascht?
Verena Vandervelt: Nein, aus früheren hkp/// group Analysen ist bekannt, dass der Einfluss der Funktionswertigkeit über die letzten Jahren kontinuierlich gestiegen ist. Und diese Entwicklung legt nahe, dass Grading-Systeme zur Einordnung von Funktionswertigkeiten heute systematischer eingesetzt werden als noch vor einigen Jahren.
Jennifer S. Schulz: Interessant ist, dass die Unterschiede in der Vergütung zwischen Funktionsfamilien deutlich weniger maßgeblich sind als vielleicht landläufig vermutet. Die Zugehörigkeit eines Stelleninhabers zu einer Funktionsfamilie wie Finanzen, Personal oder Marketing erklärt nur 6 % der Vergütungsunterschiede
Allgemein wird die Größe eines Unternehmens und die Industrie, in der es wirkt, als entscheidend für Vergütungsniveaus angesehen. Ist dieses Bild zu revidieren?
Jennifer S. Schulz: Unsere Analysen zeigen ganz klar, dass mit rund 3 % die Größe des Unternehmens ebenfalls nur einen sehr geringen Anteil der Vergütungsunterschiede erklärt. Demnach werden Positionen mit identischer Wertigkeit in großen wie mittleren Unternehmen vergleichbar vergütet. Auch der Industriezweig, in dem die Unternehmen operieren, hat in Deutschland mit 5 % einen eher geringen Erklärungsanteil.
Verena Vandervelt: Weitere Spezifika, in denen sich Unternehmen voneinander unterscheiden, sind etwa Vergütungsphilosophie und -strategie, Unternehmenskultur und Standort. Diese Treiber repräsentieren insgesamt rund 9 % der Vergütungsunterschiede und ähneln damit im Gewicht dem kombinierten Beitrag von Unternehmensgröße und Branche.
Wie steht es um die individuellen Einflussfaktoren, insbesondere das Geschlecht?
Jennifer S. Schulz: Es sind letztlich rund 9 % der Vergütungsunterschiede auf individuelle Eigenschaften einer Führungskraft zurückzuführen, wobei weniger als 1 % auf das Geschlecht entfällt. Aber Vorsicht: dass nur ein kleiner Anteil der Vergütungsunterschiede durch das Geschlecht erklärt wird, sagt noch nichts über die tatsächliche Höhe des Gender Pay Gaps. In puncto Gender Pay Gap bestätigen diese Ergebnisse vielmehr, wie wichtig es ist, andere Einflussfaktoren in eine Gender Pay Gap Analyse einzubeziehen, um den bereinigten Unterschied zu betrachten, bei dem der Effekt des Geschlechts isoliert wird.
Ihre Analysen ermöglichen einen weltweiten Vergleich der Treiber von Vergütung. Welche Besonderheiten sehen Sie in puncto Gender Pay Gap in Europa und der Welt?
Verena Vandervelt: Lassen Sie mich vorweg stellen, dass sich in unseren Analysen grundsätzlich erstaunliche globale Ähnlichkeiten offenbaren. Insbesondere bilden Charakteristika des Jobs – allen voran die Funktionswertigkeit – die mit Abstand erklärungsstärkste Kategorie bei den Vergütungstreibern. Weitere Ähnlichkeiten betreffen die Unternehmensgröße, die in allen Regionen mit rund 6 % oder weniger nur einen kleinen Anteil ausmacht. Hinsichtlich des Gender Pay Gaps zeigen sich aber in der Tat beachtliche regionale bzw. lokale Eigenheiten. Brasilien etwa weist den größten Effekt des Geschlechts auf die Vergütung aus. ´Frühere hkp/// group Analysen zeigen, dass das Land gleichzeitig einen der ausgeprägtesten Geschlechtsunterschiede weltweit zeigte.
Jennifer S. Schulz: Dagegen präsentiert sich in China ein konträres Bild: Dort scheinen individuelle Eigenschaften wie Alter und Geschlecht überhaupt nicht maßgeblich für die Vergütungshöhe zu sein. Es wird ohne Ansehen der Person entlohnt. Gleichzeitig spielt in China die Branche eine verhältnismäßig große Rolle, was nahelegt, dass verschiedene Industrien unterschiedliche Reputation genießen – und dementsprechend vergüten.
Wie steht es in der arabischen und amerikanischen Wirtschaftswelt um den Einfluss des Geschlechts auf Vergütung?
Verena Vandervelt: Für viele überraschend hat das Geschlecht in Saudi Arabien hier keinen Effekt. Bei näherem Hinsehen zeigt sich jedoch ein extremes Missverhältnis in der Anzahl weiblicher Führungskräfte, die in unserem Datensatz weniger als 1 % repräsentieren. So liegen Vergütungsunterschiede zwischen Frauen und Männern wohl weniger in der Bezahlung selbst begründet als vielmehr in der Möglichkeit, überhaupt in solche Positionen zu gelangen.
Jennifer S. Schulz: Von allen Ländern zeigen die USA den größten Effekt der Funktionswertigkeit. Hingegen hat das Geschlecht in unseren Analysen keinen signifikanten Effekt auf Vergütung. Sollten mehr als 50 Jahre Agieren von US-Politik gegen geschlechterdiskriminierende Vergütung endlich doch Wirkung zeigen…?
Herzlichen Dank für das Gespräch!