Die Immobilienwirtschaft steht in verschiedenster Hinsicht vor großen Herausforderungen. Der Branchenexperte und ehemalige hkp/// group Senior Partner Joachim Kayser zählt zu den Autoren des neuen Leitfadens „Nachhaltige Management- und Kompensationssysteme“ des Instituts für Corporate Governance in der deutschen Immobilienwirtschaft ICG. Ein Gespräch zu Hintergründen, Handlungsbedarfen und Lösungen.
Herr Kayser, was gab den konkreten Ausschlag für die Initiative des Instituts für Corporate Governance in der deutschen Immobilienwirtschaft ICG zu dem Leitfaden für nachhaltige Managementvergütung in der Immobilienwirtschaft?
Joachim Kayser: Die Immobilienbranche sieht sich derzeit zahlreichen Herausforderungen gegenüber, dazu gehören auch die Vergütungen von Vorständen und Geschäftsleitern. Die Systeme sind häufig nicht nachhaltig ausgestaltet und die Vergütungshöhen spiegeln überwiegend noch nicht die gewachsenen Größen der Unternehmen und die entsprechenden Aufgaben bzw. Verantwortungsbereiche der Top-Manager.
Ist dies ein rein deutsches Phänomen?
Joachim Kayser: Der Veränderungsdruck in der Branche ist international hoch. So haben zuletzt einflussreiche US-Unternehmer die Abkehr vom reinen Shareholder Prinzip und eine stärkere Hinwendung zum Stakeholder Value als tragfähigen Ansatz in der Corporate Governance von Unternehmen gefordert. Das ICG hat sich schon seit längerem die Erarbeitung von Branchen-passenden Ideen zur Verbesserung der Unternehmenssteuerung auf die Fahne geschrieben. Das Thema Vergütung ist dabei ein Herzstück.
Über die Einbindung von Arbeitnehmervertretern in relevante Entscheidungen, die Berücksichtigung von Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit in Vergütungssystemen etc. ist Deutschland doch schon relativ gut aufgestellt?
Joachim Kayser: Dem ist so, aber gut ist nicht immer gut genug. Die Initiative Corporate Governance in der deutschen Immobilienwirtschaft versteht sich als Impulsgeber, diesbezüglich noch konsequenter zu agieren und das Thema Nachhaltigkeit in der Vergütung noch breiter und stringenter zu verankern. Und nicht zuletzt: Die Branche will sich selbst rechtzeitig besser aufstellen, damit nicht – wie in der Finanzbranche – der Gesetzgeber als Regulator auftritt.
Was konkret sieht der ICG-Leitfaden mit Blick auf die Geschäftsleitungsvergütung vor?
Joachim Kayser: Bei dem Leitfaden handelt es sich um eine Richtschnur für Praktiker, kein theoretisierendes Dokument. Es gibt Orientierung bei der Frage, wie es Unternehmen gelingen kann, nachhaltiges Handeln – ökologisch, ökonomisch und sozial - in der Top-Management-Vergütung zu verankern. Auf die Geschäftsmodelle abgestimmte Vergütungsmodelle sind dabei zum Beispiel ein wichtiger Baustein.
Der Begriff Immobilienwirtschaft suggeriert ein Bild, das es so nicht gibt… Kann denn ein Leitfaden die Vielfalt an Unternehmen abbilden?
Joachim Kayser: Die Branche ist in der Tat hoch divers. Daher setzt der ICG-Leitfaden auch voraus, dass jedes Unternehmen für sich definieren muss, welchen geschäftsfeldspezifischen Anforderungen es unterliegt, wo es beim Thema Nachhaltigkeit steht und welche Ziele konkret erreichbar sind. Diese Eckpunkte sehen bei einem Projektentwickler grundlegend anders aus als bei einem Immobilienbetreiber oder einem Investor. Es braucht die individuelle Standortbestimmung.
Sie hatten angesprochen, dass es bei dem Thema Vergütung noch Handlungsbedarf gibt…
Joachim Kayser: Wir sehen häufig, dass die Zielvergütungen im Marktvergleich zu niedrig liegen, weil die Unternehmen stark gewachsen sind und entsprechende Anpassungen nicht oder nur zögerlich vorgenommen wurden. Leistungsbezogene Bezahlung ist dagegen meist schon verwirklicht. Aber: In der großen Mehrzahl der Fälle sind die Anreize auf kurzfristige Zielerreichung ausgerichtet. Dagegen ist Nachhaltigkeit bisher selten der Leitgedanke von Vergütung – mit Ausnahme der börsennotierten Unternehmen, die das qua Gesetz und Deutschem Corporate Governance Kodex schon verwirklicht haben.
Sehen Sie hier einen Widerspruch zur langfristigen Ausrichtung der Geschäftsmodelle in der Branche?
Joachim Kayser: In der Tat. Das Immobiliengeschäft ist überwiegend auf mehrjährige Leistungserbringung ausgerichtet. Der Gesamt-Erfolg einer Aktivität ist häufig erst nach mehreren Jahren feststellbar. Wer Leistungsvergütung ernst nimmt, sollte die Vergütungshöhe daher auch überwiegend am nachhaltigen Erfolg bemessen.
Mit der Umsetzung der europäischen Aktionärsrechterichtlinie gewinnen Investoren-Anforderungen an Bedeutung. Bei der Vergütung heißt das: konsequentes Pay for Performance. Wie steht es aus Ihrer Sicht als Marktkenner um die diesbezügliche Ausgestaltung der Vergütungssysteme?
Joachim Kayser: Hier stehen insbesondere die börsennotierten Unternehmen im Fokus und da hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Die Professionalität des Vergütungsmanagements und damit auch der Systeme für Vorstandsvergütung hat durch Transparenzanforderungen und Investorendruck deutlich zugenommen. Zu den Investorenforderungen müssen sich gerade die börsennotierten Unternehmen zudem laufend neuen Anforderungen der Regulatorik und des Gesetzgebers stellen. So werden aktuell die Laufzeiten von mehrjährigen Vergütungen auf vier Jahre erhöht und Vergütungen stärker aktienorientiert ausgestaltet.
Aber die wenigstens Unternehmen der Branche sind börsennotiert. Wie steht es um den breiten Handlungsbedarf?
Joachim Kayser: Interessanterweise sind Investoren auch in nicht-börsennotierten Unternehmen an der gleichen Entwicklung interessiert. Sie möchten immer häufiger auch in Firmen und deren Projekte investieren, die beispielsweise sogenannte Environment, Social & Governance (ESG)-Ziele als Maßstab der Vorstandsvergütung haben, sich also um Mitarbeiterbelange, ökologische Aspekte und eine gute Governance kümmern.
Braucht das Top-Management überhaupt variable Anreize in der Vergütung? Wäre ein Festgehalt nicht ausreichend?
Joachim Kayser: Vergütung ist immer ein Spiegel der Unternehmenskultur und des Geschäftsmodells sowie der darauf fußenden Unternehmensziele. Wenn sichergestellt sein soll, dass diese Ziele strategiekonform verfolgt und erreicht werden, dann braucht es genau dafür die geeigneten Incentives. Nicht zuletzt wird über einen variablen Anteil auch sichergestellt, dass das Top-Management „Skin in the Game“ hat, also die Ergebnisse seines Wirkens im Guten wie im Schlechten in der eigenen Vergütung abgebildet sieht. Daher empfiehlt der ICG-Leitfaden auch, dass auf Geschäftsleitungsebene mindestens ein Jahresgehalt dem Risiko der Performance-Schwankungen ausgesetzt ist – und die variablen Bezüge im schlimmsten Fall auch auf null fallen können.
Gibt es dabei branchenspezifische Anreize?
Joachim Kayser: Immobilien ein besonderes Wirtschaftsgut. Es gibt daher einige Besonderheiten bei den für die Vergütung relevanten Kennzahlen, die vor allem langfristige Ziele abbilden sollten. Ich sehe hier zum Beispiel die langfristige Wertentwicklung als wichtigen Parameter.
In wie weit sind für Sie – auch vor dem Hintergrund der aktuellen gesellschaftlichen Debatte – dabei Anreize für hohe Mieten vertretbar?
Joachim Kayser: Wohnunternehmen wie auch deren Dienstleister sind für den Neubau und das Management von bezahlbarem Wohnraum in unserem Gesellschaftssystem unabdingbar. Politiker vergessen das in öffentlichen Debatten nur allzu gern. Getrieben von populistischen Neigungen propagieren sie nicht selten Vorschläge bis hin zur Enteignung. Wenn dann Experten und Manager mit Verweis auf Verfassungskonformität, generellem Kostenbezug und Arbeitsplätze mahnend den Finger heben, werden sie zu Freiwild der öffentlichen Meinung.
Aber sind Wohnungsnotstand und hohe Mieten nicht auch Ergebnis fehlerhafter Incentives?
Joachim Kayser: Nein! Der Grund für knappes Wohnungsangebot ist meist Folge politischer Fehlentscheidungen zur Bereitstellung von Baugrund und den Vorschriften zu Bauausführungen. Wenn beispielsweise das Bundesland Berlin seinen sträflich herunter gewirtschafteten Bestand an kommunalen Immobilien an private Investoren verkauft, die gleichen Investoren dann nach der Grundsanierung dieses Bestands dämonisiert und ihnen getragen von der Sympathie der Straße gar mit Enteignung droht, dann steht ein solches Verhalten im grundlegenden Gegensatz zu unserer Verfassung.
Lassen Sie mich die Frage anders stellen: Wie profitieren Mieter von neuen Vergütungssystemen für die Geschäftsleitung?
Joachim Kayser: In nachhaltigen Vergütungssystemen müssen langfristige Erträge erzielt werden. Das gelingt nur mit Mietern, die sich Wohnungen dauerhaft leisten können. Die Immobilienwirtschaft hat zudem auch Käufer von Wohnungen, gewerbliche Nutzer, Investoren und die Gesellschaft als Kunden, für die sie einen hohen Nutzen erbringt. Es geht – auch in der Vergütung – um ein ausgewogenes Steuern verschiedenster Interessen. Die Zeiten reinen Shareholder-Managements sind Vergangenheit. Es gilt, Stakeholder-Interessen zu erfüllen, auch durch deren Abbildung in Vergütungssystemen.
Sie hatten das Prinzip Skin in the Game angesprochen. Wie stehen Sie zu einer Beteiligung von Mitarbeitern am Unternehmenserfolg, vor allem aber am Kapital des eigenen Arbeitgebers?
Joachim Kayser: Im Sinne einer einheitlichen strategischen Ausrichtung aller plädieren wir sehr für durchgängige Prinzipien in der Vergütung. Grundlegende Prinzipien sollten sich von der Unternehmensspitze angefangen bis in die tieferen Hierarchien hinein wiederfinden. Beteiligung ist dabei eines dieser Prinzipien. Diese ist – für alle Mitarbeiter - ein unternehmens- und gesellschaftspolitisch hervorragendes Instrument für Anreiz und Teilhabe. Wenn eigenes Geld eingesetzt wird und es dabei nicht nur um den Bonus geht, so wirkt sich das ganz anders auf Entscheidungen und Verhalten aus. Parallel wird Vermögen für die Zeit nach dem aktiven Arbeitsleben aufgebaut.
Börsennotierte Gesellschaften sind da klar im Vorteil…
Joachim Kayser: Mitarbeiterbeteiligung lässt sich in allen juristischen Einheiten abbilden. Aufgrund von Aktien haben es börsennotierte Gesellschaften scheinbar einfacher. Aber auch in anderen Unternehmensformen lassen sich Mitarbeiter am Kapital beteiligen. Da gibt es schon vielfältige Beispiele. Zudem ist der Gesetzgeber dabei, den individuellen steuerlichen Freibetrag auf 720 Euro pro Jahr verdoppeln. Auch wenn dieser Vorstoß noch nicht der große Wurf ist, sollten Unternehmen den dadurch verbesserten Rahmen nutzen.
Herr Kayser, vielen Dank für das Gespräch.
Der Leitfaden „Nachhaltige Management- und Kompensationssysteme“ des Instituts für Corporate Governance in der deutschen Immobilienwirtschaft ICG ist hier abrufbar.