Der Begriff Fair Pay hat Einzug in unser Wirtschaftsleben gefunden und erhält zunehmend hohe öffentliche Aufmerksamkeit. Erst Mitte Februar 2023 hatte das Bundesarbeitsgericht in einem Grundsatzurteil festgehalten, dass Arbeitgeber vom Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ nicht abweichen dürfen, nur weil ein Mann höhere Gehaltsforderungen stellt als seine Kollegin. Derartige öffentlichkeitswirksame Ereignisse zum Thema diskriminierungsfreie Vergütung wird es immer häufiger geben, meinen die hkp/// group Beraterinnen Jennifer Schulz und Isabel Jahn, nicht zuletzt auch weil institutionelle Investoren im Kontext von Nachhaltigkeit und ESG den Fokus auf diskriminierungsfreies Arbeiten und Vergütung legen. Ein Gespräch zum aktuellen Stand der Debatte, zu Erfolgen und Herausforderungen.
Frau Schulz, Frau Jahn, Sie beraten Unternehmen in der Ausgestaltung von Vergütungssystemen. Welche Rolle spielt dabei Fair Pay?
Jennifer Schulz: Der Ansatz einer diskriminierungsfreien Vergütung ist in unserer Wirtschaft präsenter denn je. Insbesondere börsennotierte Unternehmen sehen sich entsprechenden Forderungen ihrer Investoren gegenüber, für die die sogenannten Social-Faktoren aus dem ESG-Begriff – und dazu zählen auch Themen wie Diversity, Gleichberechtigung und Mitarbeiterzufriedenheit – einen wachsenden Stellenwert bekommen. Das geschieht nicht aus Altruismus, sondern ist schlicht dem Gedanken einer Risikominimierung und Renditesicherheit geschuldet.
Isabel Jahn: Heute kann sich aber kein Unternehmen der gesellschaftlichen Debatte rund um Fair Pay entziehen, egal ob börsengelistet oder nicht. Wir begleiten derzeit branchen- und größenübergreifend, vom Dax-Konzern bis zum Start-up, Projekte, in denen die Überprüfung von Vergütung zwischen männlichen und weiblichen Mitarbeitenden und die Ermittlung des sogenannten Gender Pay Gap mal der Auslöser, mal ein Schwerpunkt ist.
Jennifer Schulz: Das Thema ist in den Unternehmen angekommen, da gibt es keine Frage. Es wird auch öffentlich zunehmend präsent, und das nicht nur zum Equal Pay Day oder Internationalen Frauentag.
Woran machen Sie das fest?
Jennifer Schulz: Erstens, weil institutionelle Investoren konkrete Antworten von ihren Investments in den relevanten Themenfeldern einfordern und diese darüber berichten lassen. Zweitens, weil es auch für nicht börsennotierte Unternehmen mit der Implementierung der relevanten EU-Regulierung ab 2025 eine allgemeine Berichtspflicht zum Gender Pay Gap geben wird. Dies resultiert auch in stark zunehmenden Anfragen nach einer Fair-Pay-Zertifizierung, die ich in meiner Tätigkeit als Screening Board Member beim FPI Fair Pay Innovation Lab beobachte.
Isabel Jahn: Hinzu kommt: Mehr und mehr Unternehmen nutzen das Momentum, um in die Offensive zu gehen und sich als attraktive Arbeitgeber zu positionieren. Mit entsprechenden Angeboten zeigen sie in der Öffentlichkeit, dass bei ihnen neben anderen sozialen Aspekten wie diskriminierungsfreien Entwicklungsmöglichkeiten, Lieferketten etc. auch Fair Pay eine wichtige Rolle spielt.
Wie hoch schätzen Sie die Bedeutung von Gesetzgebung und Regulatorik bei Fair Pay ein?
Isabel Jahn: Das Entgelttransparenzgesetz aus dem Jahre 2017 hat bei Fair Pay ein Umdenken eingeleitet. Aber es war nur ein erster Aufschlag, der seitdem durch weitere Regulatorik sukzessive erweitert wird. So wird sich beispielsweise auf Basis der EU Pay Transparency Richtlinie bald die Beweislast bei Beschwerden umkehren: Arbeitgeber müssen dann künftig nachweisen, dass sie in puncto Vergütung nicht diskriminieren und Mitarbeitende können sich im Beschwerdeprozess kompetent fachlich unterstützen lassen.
Jennifer Schulz: Bisher berichten Unternehmen von einer überraschend geringen Zahl an Anfragen ihrer Mitarbeitenden in Bezug auf Vergütungsgerechtigkeit. Ob aus Angst vor den innerbetrieblichen Folgen oder weil man einfach davon ausgeht, dass das schon alles seine Richtigkeit haben wird, ist schwer zu sagen. Hier kann nur Transparenz Abhilfe schaffen und genau dazu soll die weitere Regulierung ja dienen – denn wenn ich weiß, was andere verdienen, kann ich mich vergleichen und einordnen.
Was wäre ein Beispiel dieser Konkretisierung?
Jennifer Schulz: Beispielsweise muss zukünftig schon im Bewerbungsprozess das Vergütungsniveau für eine ausgeschriebene Position kommuniziert werden. Das erleichtert insbesondere Bewerberinnen die Verhandlung und nivelliert die Ausgangsposition. Aber letztlich profitieren auch männliche Bewerber von dieser Transparenz.
Wo gab es in den letzten Jahren die größten Fortschritte beim Thema Fair Pay?
Isabel Jahn: Fair Pay steht heute auf der strategischen Agenda der Unternehmensleitungen aller großen Unternehmen - und zunehmend auch darüber hinaus. Es ist kein technisches Thema der HR-Bereiche mehr, sondern wird als wichtiger Teil guter Unternehmensführung angesehen. Die Diskussionen dazu werden heute offen geführt, nicht mehr hinter vorgehaltener Hand.
Jennifer Schulz: Unternehmen schauen hier inzwischen sehr genau hin, führen regelmäßige Fair-Pay-Analysen durch und suchen nach Erklärungen und Ursachen für aufgedeckte Vergütungsunterschiede. Dabei erleben wir einen echten Willen zu Fair Pay. Selbst wenn der zu berichtende gesamthafte Pay Gap akzeptabel aussieht, wird mit Interesse auf die differenzierteren Analysen geschaut und Handlungsbedarf abgeleitet, um die Situation weiter zu verbessern.
Was sind in diesem Sinne Beispiele für konkrete Maßnahmen für Fair Pay?
Isabel Jahn: Nehmen Sie die jährlichen Gehaltsrunden. Gibt es diskriminierungsfreie Bewertungsstrukturen für variable Zahlungen und werden Analysen vorbereitet, um kriterienbasierte Entscheidungen für Gehaltsanpassungen, zum Beispiel auf Basis einer Einstufung der Funktion oder einer objektiven Leistungsbewertung zu treffen? Werden regelmäßige externe Gehaltsvergleiche durchgeführt, um zu entscheiden, ob Gehaltsforderungen sich im marktüblichen Rahmen bewegen? Werden Mütter oder Väter, die Elternzeit nehmen, in Abwesenheit mit einbezogen und partizipieren zwar nicht von leistungsbezogenen Zuwendungen, aber laufen bei Regelanhebungen der Grundvergütung mit? Wenn ja, hat das Unternehmen schon einige mögliche Maßnahmen umgesetzt und sich über die gewollten und ungewollten Vergütungsunterschiede Gedanken gemacht.
Jennifer Schulz: Weitere Maßnahmen können auch Initiativen zur Frauenförderung und für mehr Frauen in Führungspositionen sein. Diese sehen wir schon seit Jahren – allerdings mit verhaltener Wirkung. Unsere Studien zeigen für das Top Management aller Branchen in Deutschland einen Frauenanteil von grade mal 15%. Das sehen auch die Unternehmen: Auswahl- und Performance-Management-Prozesse werden verstärkt auf Diskriminierungsfreiheit und Wirksamkeit überprüft.
Wenn diese und mehr Maßnahmen umgesetzt werden, dann müssten doch innerhalb kürzester Zeit Vergütungsunterschiede der Vergangenheit angehören?
Isabel Jahn: Wir werden mit Sicherheit bald weitere Fortschritte sehen. Aber auch trotz des Willens der Unternehmen und der Umsetzung von Maßnahmen wird es einige Zeit dauern, den aktuellen Gender Pay Gap von unbereinigt 18% und bereinigt von immerhin noch 7% in Deutschland weiter zu senken, da es vielfach um strukturelle Themen geht, die erst über Zeit Wirkung entfalten. Auch in den jährlichen hkp/// group Gehaltsstudien sehen wir hier nur eine langsame Entwicklung.
Jennifer Schulz: Auch können die Unternehmen das Thema nicht alleine lösen. Wir brauchen den gesellschaftlichen Willen zu echter Gleichberechtigung und Chancengleichheit. Das beginnt bei der Erziehung, geht über Kinderbetreuungsangebote und die Akzeptanz von Männern, die sich entscheiden, zwei Jahre und nicht nur Monate Elternzeit zu nehmen, und endet bei der Frage, ob Frauen gern niedriger bezahlte Tätigkeiten, zum Beispiel in der Pflege, ausüben oder diese Tätigkeiten schlechter bezahlt werden, weil sie überwiegend von Frauen ausgeübt werden.
Wo sehen sich Unternehmen neben dieser generellen gesellschaftlichen Situation vor den größten Herausforderungen im Thema Vergütungsgerechtigkeit?
Isabel Jahn: Die zentrale Frage ist, zu entscheiden, wofür ich als Unternehmen wirklich vergüten möchte, d.h. welche Faktoren einen Unterschied rechtfertigen sollen. Dass Unternehmen für verschiedenartige Tätigkeiten unterschiedlich vergüten, ist grundsätzlich unstrittig, die Frage ist aber, womit Unterschiedlichkeit begründet wird. Das klingt trivial, aber nicht in allen Unternehmen gibt es dazu eine klare Definition. Spielen Ausbildung, persönliche Kompetenzen und Berufserfahrung eine zentrale Rolle oder steht das Anforderungsprofil der Stelle und die Leistung, die auf dieser abgerufen und erbracht wird, im Vordergrund?
Wäre es beispielsweise fair, wenn zwei Personen bei gleicher Leistung unterschiedlich verdienen, weil die eine den Job länger macht oder schon relevante Berufserfahrung gesammelt hat?
Isabel Jahn: Zunächst muss definiert sein, was Fair Pay überhaupt bedeuten soll – und da können sich die Herangehensweisen der Unternehmen – durchaus begründet – unterscheiden. Die Erfahrung zeigt aber auch, dass es sinnvoll ist, sich bei diesen Überlegungen extern begleiten zu lassen, um unternehmensinterne blinde Flecken nicht zu übersehen.
Jennifer Schulz: Herausfordernd sind zweifelsohne auch die wachsenden regulatorischen Anforderungen. Insbesondere vor dem Hintergrund der anstehenden Berichtspflichten und damit der Ermittlung eines länderübergreifenden Pay Gaps, wird die Etablierung einer zentralen Governance und eines klaren Prozesses der Überprüfung und Umsetzung von Fair Pay erforderlich. Zum Teil gibt es zudem branchenspezifische Anforderungen des regulatorischen Reportings, wie zum Beispiel für Finanzmarktakteure. Da eine zentrale Datenverfügbarkeit in den meisten Unternehmen nicht gegeben ist, muss daher jetzt dringend der Rahmen entwickelt werden, in dem ein einheitliches transparentes Reporting gewährleistet werden kann.
Frau Jahn, Frau Schulz, vielen Dank für das Gespräch!