Je nach Unternehmenslage und aktuellen Herausforderungen variiert die Agenda des Aufsichtsrats. Allerdings gibt es auch Themen, die grundsätzlich auf der Tagesordnung stehen und die Kernaufgaben des Aufsichtsrats abdecken – die Kontroll- und Überwachungsfunktion, Rat und Strategiebegleitung sowie seine Personalfunktion. hkp.com sprach mit den hkp/// group Corporate Governance Advisors Nina Grochowitzki, Dr. Pia Lünstroth und Regine Siepmann über aktuelle Themen und Trends der Aufsichtsratstätigkeit.
Frau Grochowitzki, Frau Dr. Lünstroth, Frau Siepmann, immer mehr Aufsichtsräte setzen sich intensiv mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinander und wollen so sicherstellen, dass ihr Unternehmen verantwortungsbewusst handelt und damit langfristig erfolgreich ist. Wie ist diese Entwicklung zu erklären?
Regine Siepmann: Nachhaltigkeit ist ein gesamtgesellschaftliches Thema, dem sich auch Unternehmen und ihre Aufsichtsräte annehmen müssen. Dabei gilt es, in ihrer besonderen Rolle sicherzustellen, dass die Bedürfnisse der heutigen Generation erfüllt werden, ohne die Möglichkeiten zukünftiger Generationen zu beeinträchtigen. Nachhaltigkeit ist hier vielfältig zu sehen– sei es, den Klimawandel zu bekämpfen, Ressourcen zu schonen, soziale Verantwortung zu übernehmen, Verbraucheranforderungen zu erfüllen und die Gesetzgebung einzuhalten. Unternehmen können und müssen dazu einen wesentlichen Beitrag leisten.
Dr. Pia Lünstroth: Diese Entwicklung spiegelt sich auch in entsprechenden Forderungen von Investoren auf der einen Seite und immer umfassenderen regulatorischen bzw. gesetzlichen Vorgaben auf der anderen Seite wider. Investoren schauen dabei aus ökonomischen Gründen auf Nachhaltigkeit, stellen doch beispielsweise Vorgaben für diskriminierungsfreie Geschäftsprozesse oder ein entsprechendes Human Capital Management nicht nur eine Risikoabsicherung für Investments dar, sondern sind auch ein Treiber von Rendite.
Sie spielen darauf an, dass Unternehmen mit diversen Teams erfolgreicher sind…
Dr. Pia Lünstroth: Es ist eine wissenschaftlich untermauerte Erkenntnis, dass Diversität in jeder Hinsicht Unternehmen erfolgreicher und resilienter macht. Auch weisen Unternehmen mit hohen Standards im Arbeitsschutz geringere Unfall- und Ausfallraten aufweisen.
Nina Grochowitzki: Nicht zuletzt sind faire, nachhaltige Geschäftspraktiken in jeder Hinsicht – nach innen wie nach außen – angesichts der gesellschaftlichen Debatte ein wesentlicher Grund für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sich für ein Unternehmen zu entscheiden, dort im Zweifel länger zu bleiben und motiviert zu arbeiten.
In welcher Form setzen sich Aufsichtsräte mit Nachhaltigkeit auseinander?
Nina Grochowitzki: Diskutiert werden derzeit unterschiedliche Modelle, einerseits über einen speziellen Nachhaltigkeitsausschuss im Aufsichtsrat, andererseits über die Implementierung von Nachhaltigkeit als Querschnittsthema. Die Marktpraxis tendiert hier aktuell in Richtung Nachhaltigkeitsausschuss.
Welchen Ansatz befürworten Sie?
Regine Siepmann: Die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten in allen Ausschüssen und im Plenum ist aus unserer Perspektive der langfristig sinnvollere Ansatz. Nachhaltigkeit ist kein isolierter Bereich, sondern sollte sich als Prinzip durch sämtliche Geschäftsbereiche und -prozesse ziehen. Ein Delegieren dieser Verantwortung in einen speziellen Ausschuss erscheint da zu kurz gegriffen. Natürlich hat ein spezieller Ausschuss aber auch Vorteile, insbesondere im Hinblick auf die fokussierte Verfolgung von Nachhaltigkeit.
Dr. Pia Lünstroth: … zumal damit auch mit Blick auf die Qualifikation sichergestellt sein muss, dass Nachhaltigkeitskompetenz im Aufsichtsrat gegeben ist. Es gibt eben nicht nur die eine Spezialistin oder den einen Spezialisten, auf den bzw. die im Zweifel verwiesen werden kann. Dafür ist das Thema Nachhaltigkeit viel zu breit gefächert und branchen- sowie unternehmensspezifisch. Sondern der gesamte Aufsichtsrat ist mit dem Thema vertraut und seine Mitglieder verfügen über entsprechende grundlegende Kenntnisse.
Sie sprechen die Qualifikation von Aufsichtsräten an: Wie viel Neues steckt in den Nachhaltigkeitsanforderungen?
Nina Grochowitzki: Die Welt verändert sich, es gibt neue Investorenforderungen, neue regulatorische oder gesetzliche Vorgaben etc. Und damit gibt es die Notwendigkeit einer permanenten Fort- und Weiterbildung auch für Aufsichtsräte. Aber bei aller Notwendigkeit, in aktuellen und vielleicht neuen Themen sprechfähig zu sein: In Nachhaltigkeitsthemen oder in anderen Worten in ESG ist ja ein starke SOCIAL-Komponente enthalten. Zu der zählte schon immer auch die Personalfunktion, die der Aufsichtsrat inne hat.
An welche Themen-Schnittmenge denken Sie hier genau?
Nina Grochowitzki: Wissen und Erfahrung im Human Capital Management ist beispielsweise ein Aspekt von Nachhaltigkeitskompetenz. Das wird nicht zuletzt in der Nachfolgeplanung deutlich – für den Vorstand wie für den Aufsichtsrat selbst. Eine Nachfolgeplanung sollte per definitionem nachhaltig sein.
Regine Siepmann: Oder nehmen Sie die Vorstandsvergütung, bei weitem kein neues Thema, aber eines mit hoher Bedeutung in puncto Nachhaltigkeit.
Weil Anreize verantwortliches Verhalten der Unternehmensführung fördern?
Regine Siepmann: Genau. Nachhaltig ausgestaltet trägt Vorstandsvergütung dazu bei, dass neben Umweltaspekten die Interessen von Shareholdern wie auch Mitarbeitenden, Kunden und Lieferanten berücksichtigt werden. Sie sollte Anreize setzen, um langfristigen Erfolg zu fördern, Risiken zu managen und Nachhaltigkeit sicherzustellen.
Wie kann eine Aufsichtsratsvorsitzende oder ein Aufsichtsratsvorsitzender sicher sein, dass Nachhaltigkeit in angemessenen Umfang und mit den entsprechenden Qualifikationen im Gremium verankert ist?
Dr. Pia Lünstroth: Es gibt die Möglichkeit der Evaluation der Effektivität der Aufsichtsratstätigkeit. Der DCGK empfiehlt eine solche Selbstbeurteilung, aber sie sollte nicht nur als lästige Pflichtaufgabe gesehen werden, sondern als Chance zur Überprüfung und Optimierung des eigenen Wirkens. In diesem Kontext kann und muss dann auch die Nachhaltigkeitskompetenz in Qualität und Umfang sowie das relevante Wirken des Aufsichtsrats in diesem Themenfeld adressiert werden.
Regine Siepmann: Aus heutiger Sicht würden wir sagen, dass ein professioneller Anspruch an die Aufsichtsratstätigkeit die regelmäßige Evaluation braucht.
Vielen Dank für das Gespräch!