In der dynamischen Welt von heute gehören Kapitalmarktaktivitäten wie Börsengänge und Carve-outs zu bedeutenden Schritten in der Entwicklung von Organisationen und ihrer Anpassung an sich ständig verändernde Rahmenbedingungen. Sie erfordern jedoch nicht nur eine sorgfältige Planung und Umsetzung, sondern als solide Basis auch eine gute Corporate Governance. In diesem Zusammenhang kommt dem Aufsichtsrat eine herausragende Bedeutung zu. Ein Gespräch mit den Corporate Governance Advisors und hkp/// group Partnern Dr. Pia Lünstroth und Dr. Jan Dörrwächter.
Herr Dr. Dörrwächter, Frau Dr. Lünstroth, welche Rolle spielt Corporate Governance im Kontext von Kapitalmarktaktivitäten und insbesondere Börsengängen?
Dr. Dörrwächter: Corporate Governance beschreibt die Regeln sowie die Art und Weise, wie Unternehmen durch die Geschäftsführung bzw. den Vorstand geführt werden und wie diese Führung durch den Aufsichtsrat kontrolliert wird. Sie soll sicherstellen, dass die Interessen der unterschiedlichen Stakeholder beachtet werden und das Unternehmen langfristig und nachhaltig erfolgreich ist, und zwar nicht nur in finanzieller Hinsicht.
Dr. Lünstroth: Dies gilt gerade im Kontext von Börsengängen, da gewährleistet werden soll, dass das an die Börse gehende Unternehmen nachhaltig aufgestellt wird, insbesondere auch in seiner Aufbau- und Ablauforganisation einschließlich der Compliance.
Welche spezifischen Aspekte der Corporate Governance sind bei Börsengängen zu beachten?
Dr. Lünstroth: Zunächst einmal ist es wichtig, dass alle relevanten Informationen zur Unternehmensführung, also der Corporate Governance des Unternehmens, den Stakeholdern und hier insbesondere den potenziellen Investoren transparent zur Verfügung gestellt werden, um fundierte Anlageentscheidungen treffen zu können.
Aber es geht nicht nur um die Shareholder…
Dr. Lünstroth: Keinesfalls! Es sind auch die Interessen der übrigen Stakeholder angemessen zu berücksichtigen. Dieser Kreis umfasst etwa Mitarbeitende, Kunden, Lieferanten und andere wichtige Interessengruppen.
Dr. Dörrwächter: Letztlich geht es um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen finanziellen und nicht-finanziellen Betrachtungsweisen sowie zwischen kurzfristigen und langfristigen Zielsetzungen, um eine nachhaltige Wertschaffung zu gewährleisten, von der alle Beteiligten bzw. Betroffenen profitieren.
Ein wichtiger Aspekt ist die Einhaltung der rechtlichen und regulatorischen Anforderungen.
Dr. Dörrwächter: Unternehmen – und diese Forderung richtet sich nicht nur an den Vorstand, sondern in letzter Instanz auch an den Aufsichtsrat – müssen sicherstellen, dass sie alle gesetzlichen Vorschriften einhalten. Im Falle von börsennotierten Gesellschaften umfasst dies zudem die speziellen kapitalmarktrechtlichen Verpflichtungen wie etwa Ad-hoc-Pflichten.
Es gibt also viel zu tun für Aufsichtsräte, die in diesen herausfordernden Situationen ihrer Kontroll- und Beratungsfunktion für den Vorstand gerecht werden müssen…
Dr. Dörrwächter: So ist es. Aufsichtsräte haben eine entscheidende Rolle bei Kapitalmarktaktivitäten. Zu ihren Aufgaben gehört es, den IPO bzw. Carve-out zu überwachen und den langfristigen Erfolg sicherzustellen.
Dr. Lünstroth: In den letzten Jahren hat der Aufsichtsrat eine wichtige Rolle als Schnittstelle in der Kapitalmarktkommunikation erlangt. Bei Kapitalmarktaktivitäten aber auch bei größeren Transformationsprojekten geben sich Investoren nicht mehr damit zufrieden, von Investor Relations informiert zu werden. Insbesondere die großen angelsächsischen Investoren gehen aufgrund ihres anderen Governance-Verständnisses vielfach direkt auf den Aufsichtsrat und hier insbesondere den Aufsichtsratsvorsitzenden zu – mit allen Herausforderungen, die dadurch für die Corporate Governance bei Unternehmen mit einem zwei-stufigen Board erwachsen.
Wie eng sollte sich dabei aus Ihrer Sicht die Zusammenarbeit mit dem Vorstand bzw. der Geschäftsführung gestalten?
Dr. Lünstroth: Aufsichtsräte sollten den Vorstand im Kontext von Kapitalmarktaktivitäten bei der Überwachung der relevanten Prozesse unterstützen und etwa sicherstellen, dass potenzielle Interessenkonflikte ordnungsgemäß gehandhabt werden. Des Weiteren sollten Aufsichtsräte kontrollieren, ob das Unternehmen über ein effektives Risikomanagement verfügt, etwa um potenzielle Risiken im Zusammenhang mit dem Börsengang zu identifizieren und adäquat zu adressieren.
Wie unterstützen Sie Unternehmen und Aufsichtsräte bei dieser verantwortungsvollen Aufgabe?
Dr. Dörrwächter: Das hängt natürlich immer vom Einzelfall ab. Aber mehr denn je müssen sich Aufsichtsräte mit den Anforderungen einer funktionierenden und zukunftsfähigen Corporate Governance auseinandersetzen. Neben der Vergütung des Vorstands und des Aufsichtsrats unterstützen wir diesen etwa bei der Definition der erforderlichen Kompetenzen des Aufsichtsratsgremiums und der Ziele für seine Zusammensetzung, aber auch bei der Festlegung der Regeln für die Zusammenarbeit zwischen Aufsichtsrat und Vorstand oder für die Kooperation innerhalb der Gremien.
Können Sie das mit konkreten Beispielen unterfüttern?
Dr. Lünstroth: Basierend auf unserer Expertise und umfassenden Marktpraxis unterstützen wir bei der Entwicklung eines strategiekonformen Zielbilds für die Zusammensetzung des Aufsichtsrats sowie bei der Definition relevanter Kompetenzen und der entsprechenden Qualifikationsmatrix. Die Zusammensetzung von Vorstand und Aufsichtsrat sind wesentliche Themen auf jeder Road Show vor einem Börsengang. Im nächsten Schritt gilt es dann, die Gremien zukunftsfest zu gestalten, also auch an die Nachfolge zu denken: Wir begleiten Unternehmen daher auch bei der Konzeption und Implementierung einer langfristig ausgerichteten, resilienten Nachfolgeplanung für Vorstand und Aufsichtsrat.
Dr. Dörrwächter: Wir beraten bei der Gestaltung strategieabgeleiteter und an Nachhaltigkeit ausgerichteter Vergütungssysteme, die den vielschichtigen Anforderungen von Gesetzgeber, Kodex und Investoren gerecht werden und dabei auch die Marktüblichkeit, Wettbewerbsfähigkeit und Angemessenheit im Blick haben. Um strategische Ziele innerhalb einer Organisation zu kaskadieren, harmonisieren wir auf Wunsch auch Vergütungspraktiken über Hierarchieebenen hinweg im Sinne der Durchgängigkeit, denn auch die nachfolgenden Ebenen rücken mit einem Börsengang mehr in den Fokus.
Vielen Dank für das Gespräch!