Jung, innovativ, schnell und erfolgreich – es sind Attribute wie diese, die wohl die meisten Menschen vor allem mit Start-ups verbinden. Kein Wunder, dass auch etablierte Mittelständler und Konzerne Gesellschaften neu gründen oder junge Firmen kaufen. Wie solche Corporate Start-ups organisational angebunden sind und wie darin vergütet wird, das untersucht die hkp/// group Studie Pay for Pioneers 2020 – Organisation & Vergütung in Corporate Start-ups. Über die Ergebnisse sprachen die hkp/// group Expertinnen Viktoria Jahn und Petra Knab-Hägele mit hkp.com.
Frau Jahn, Frau Knab-Hägele, welches Ziel verfolgen etablierte Unternehmen mit der Gründung oder dem Zukauf von Start-ups?
Petra Knab-Hägele: Es geht letztlich um das, wofür Start-ups bekannt sind: Agilität, Flexibilität und Innovationskraft. Vor allem Konzerne haben als Zielbild den agilen Flottenverband bei dem sich der eigene, schwerfällig gewordene Tanker mit kleineren, schlagkräftigeren Begleit- und Schnellbooten umgibt.
Viktoria Jahn: Mit Start-ups wagen Unternehmen Experimente, erschließen neue Geschäftsfelder und natürlich möchten sie auch von dem ganz besonderen Unternehmergeist der Gründerinnen, Gründer und Start-up Mitarbeitenden profitieren.
Wie gängig sind denn Start-ups unter dem Dach von größeren Unternehmen?
Petra Knab-Hägele: Corporate Start-ups sind längst etablierte Marktpraxis. Unter den Studienteilnehmern, von denen mehr als die Hälfte börsennotiert sind, sind beispielsweise Vertreter mit Start-ups in den Branchen Technologie, Automobilhersteller und Zulieferer, in IT und Internet sowie Transport und Logistik.
Viktoria Jahn: Ziehen sich Corporate Start-ups auch durch alle Industriezweige, finden sie sich aber besonders häufig in Branchen mit traditionell hoher Innovationskraft oder in tiefgreifenden Umbrüchen. Hier ist schlicht der Druck zum Handeln am größten.
Heißt „besonders häufig“, dass manche Unternehmen gleich mehrere Start-ups unter ihrem Dach betreiben?
Petra Knab-Hägele: Es sind sogar die meisten Unternehmen, die mehrere Gründungen vorweisen können. An der Studie haben 51 Großunternehmen teilgenommen. Ein Viertel betreibt zwischen zwei und vier Start-ups, mehr als die Hälfte zwischen fünf und bis zu 20 entsprechende Projekte. Das sind klare Signale: Start-ups unter dem Dach von etablierten Unternehmen sind, auch in größerer Anzahl, mittlerweile Best Practice. Mit ihrer Führung und Organisation setzen sich schon ganze Stäbe auseinander.
Wie sind diese Jungunternehmen organisational an die Mutterkonzerne angebunden?
Viktoria Jahn: Die Anbindung von Start-ups erfolgt über spezielle Geschäftsbereiche, rechtlich eigenständige Tochteruntergesellschaften oder über spezielle Inkubatoren – Letzteres vor allem in Fällen mit einer größeren Menge an Start-ups.
Petra Knab-Hägele: Mit 85 Prozent dominieren allerdings die eigenständigen Tochterunternehmen, wobei etwa die Hälfte der Studienteilnehmer mehr als nur eine Organisationsform parallel nutzt.
Wie groß sind diese Start-up-Einheiten überhaupt?
Viktoria Jahn: Bei rund einem Drittel der Studienteilnehmer verfügen die Start-ups über mehr als 50 Mitarbeitende. Bei jeweils 14 Prozent liegt die Mitarbeiterzahl sogar über 100 beziehungsweise 250, so dass tendenziell von eher reiferen Jungunternehmen gesprochen werden kann.
In Anbetracht dieser Größenordnungen und der organisatorischen Anbindung liegt die Frage nach der Tarifbindung näher als man meinen könnte…
Viktoria Jahn: Sie spielt zumindest bei knapp einem Viertel der Studienteilnehmer eine Rolle: Bei acht Prozent liegt eine Tarifbindung vor, bei 15 Prozent ist zumindest eine teilweise Bindung an Tarifrecht gegeben.
Petra Knab-Hägele: Dies steht eigentlich konträr zu den Zielen der Corporate Start-ups. Ebenso verhält es sich mit Rückkehrgarantien für Mitarbeitende, die aus dem Konzern in Jungunternehmen entsandt wurden. Derartige Zusagen für den Fall des Scheiterns eines Projekts bestehen bei einem Drittel der Studienteilnehmer.
Vergütung in freien, Konzern-unabhängigen Start-ups eilt der Ruf voraus, wenig Sicherheit, dafür aber viel Chance über Vergütung oder Kapitalbeteiligung zu bieten. Ist das bei Corporate Start-ups ähnlich?
Petra Knab-Hägele: Nur zum Teil. Die Grundvergütung fällt in mehr als der Hälfte der Corporate Start-ups gleich hoch aus wie im Mutterkonzern. In etwa der Hälfte der Start-ups ist auch der Jahresbonus identisch. Sieben Prozent der Corporate Start-ups garantieren ihren Mitarbeitern die Auszahlungen von Mindestbeträgen in der variablen Vergütung.
Wie sieht es mit der mehrjährigen variablen Vergütung aus?
Viktoria Jahn: Zunächst ist festzustellen, dass 40 Prozent der Corporate Start-ups keine Long-Term Incentive Pläne implementiert haben. Wenn dies jedoch der Fall ist, fällt die mehrjährige Vergütung in den meisten Fällen höher aus als in der Muttergesellschaft.
Gibt es hier Garantien?
Viktoria Jahn: Nein, garantierte Mindestzahlungen sind in der mehrjährigen variablen Vergütung nicht vorgesehen. In drei von vier Corporate Start-ups werden Auszahlungsobergrenzen definiert. Bei 90 Prozent erfolgt die Auszahlung der mehrjährigen variablen Vergütung in bar, eine Bedienung in Aktien oder in Form von Eigenkapital ist nicht marktüblich, wobei unsere Marktpraxis hier vielfach Abweichungen von diesem Studienergebnis zeigt.
Petra Knab-Hägele: 40 Prozent beteiligen ihre Mitarbeiter am Unternehmenswert, meist virtuell. Etwa ein Drittel nutzt Performance Cash Pläne als Long-Term Incentive – ein weiteres Überbleibsel aus der Corporate Welt, das wir im Umfeld von unabhängigen Start-ups nicht finden.
Gelingt es Unternehmen so, über eigene Start-ups die Vorteile dieser jungen, dynamischen Organisationen in die Konzernwelt zu transferieren oder von diesen Aktivitäten zu profitieren?
Viktoria Jahn: Letztlich ergibt sich für Corporate Start-ups im Vergleich zu freien Start-ups ein Chancen-Risiko-Profil, das durch mehr Sicherheit und weniger Risiko gekennzeichnet ist – mit den entsprechenden Konsequenzen bei der Gewinnung, Bindung und Motivation von erfolgskritischen Talenten.
Petra Knab-Hägele: Unternehmen haben den richtigen Weg eingeschlagen, sind aber oft noch zu kompromissbereit. Das Beste aus beiden Welten zu verbinden, ist nicht der richtige Weg. Corporate Start-ups sind dann erfolgreich, wenn der in Jungunternehmen typische Unternehmergeist samt der entsprechenden Freiheitsgrade gewahrt ist. Erreichen könnte man das zum Beispiel durch umfangreiche Kapitalbeteiligungen, attraktive Perspektiven im Erfolgsfall oder die konsequente Flexibilisierung von Arbeitszeiten. Tarifliche Regelungen, klassische Vergütungspraktiken oder die Gewährung von Rückkehrgarantien sind verständlich, sie konterkarieren das allerdings.
Frau Jahn, Frau Knab-Hägele, vielen Dank für das Gespräch!