Herr Schlichting, Sie haben in Gesprächen und Interviews mit Personalverantwortlichen großer mittelständischer Unternehmen deren aktuelle Herausforderungen im HR-Management analysiert. Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?
Carsten Schlichting: Natürlich gibt es nicht DAS mittelständische Unternehmen. Allerdings wurde in den Gesprächen deutlich, dass es in der HR-Arbeit bei allen Unterschieden zwischen den Unternehmen auch viele Gemeinsamkeiten gibt. Dazu zählt ein klarer Trend zur Zentralisierung. HR-Themen, die bisher in der Verantwortung ausländischer Landesgesellschaften lagen, werden zunehmend über die Zentrale in Deutschland gesteuert. Dabei stehen dann auch die entsprechenden Prozesse auf dem Prüfstand: Sind sie richtig gestaltet, werden sie effizient durchgeführt, ist zusätzlicher IT-Support erforderlich und führen sie zu den gewünschten Ergebnissen? Hier gibt es erhebliche Unterschiede in der Herangehensweise und bei den Ergebnissen, aber die generelle Zielsetzung, die Personalarbeit weltweit effizient und effektiv aufzustellen, ist klar erkennbar.
Geschieht diese Zentralisierung primär mit einem „deutschen Blick“?
Carsten Schlichting: Ja und nein. Deutsche Erfahrungen bestimmen manchmal die Herangehensweise. Allerdings wird im Kontakt mit den Landesgesellschaften sehr schnell deutlich, dass auch hier die Welt nicht am deutschen Wesen genesen kann. Das heißt, in der konkreten Arbeit werden durchaus tragfähige Kompromisse gefunden.
Eines der wichtigsten identifizierten Themen sind Stellenbesetzungen. Wie ist hier die Herangehensweise mittelständischer Unternehmen?
Carsten Schlichting: Die Besetzung der Top-Positionen außerhalb des Mutterlandes wurde schon bisher in der Unternehmenszentrale vorgenommen. Personalentwicklung und Talentmanagement haben in Landesgesellschaften bisher kaum stattgefunden. Zudem sind Potenziale unterhalb der lokalen Führungsebene häufig zentral nicht bekannt. In dem Maße, wie die lokalen Einheiten wachsen, muss auch dort ein systematisches Performance- und Talent-Management etabliert werden, idealerweise nach einem weltweit geltenden strategischen Konzept.
Nicht zuletzt deshalb, weil Führungskräfte inzwischen häufig Mitarbeiter in unterschiedlichen Ländern führen …
Carsten Schlichting …und ihnen fairerweise nicht in jedem Land andere Prozesse und Formulare zugemutet werden können.
In welchem Umfang wird denn Potenzialermittlung schon systematisch durchführt?
Carsten Schlichting: In den meisten Unternehmen wird jährlich eine Potenzialeinschätzung der Mitarbeiter in den beiden Ebenen unterhalb der Geschäftsführung durchgeführt. Häufig wird in Deutschland der gesamte AT-Bereich einbezogen. Die Herausforderung liegt darin, dies auf die vergleichbaren Ebenen weltweit auszudehnen. Meist sind die unmittelbaren Vorgesetzten für die Bewertung verantwortlich, zunehmend setzen sich auch von HR moderierte, sogenannte Panel-Diskussionen durch. Diese zählen in den großen börsennotierten Unternehmen inzwischen zum Standard. Die Erfahrung ist, dass dadurch die Einschätzungen deutlich belastbarer werden und die berüchtigte Rechtsverschiebung in der Beurteilung abgemildert werden kann.
Wie sieht es generell mit Karrierechancen in mittelständischen Unternehmen aus?
Carsten Schlichting: Natürlich stehen weniger Stellen zur Verfügung als in großen Konzernen. Andererseits gibt es auch weniger potenzielle Kandidaten. Insgesamt müssen mittlere Unternehmen damit leben, dass hochkarätige Potenziale die Firma verlassen, weil eben die Zielstelle auf längere Sicht bereits gut besetzt ist. Auffällig ist, dass das Thema Fach- und Projektlaufbahn erst jetzt systematisch in Angriff genommen wird, insbesondere weil vor allem im Bereich F&E das Interesse daran sehr groß ist. Außerdem fällt auf, dass im Unterschied zu vielen Großunternehmen die meisten Mittelständler die Themen Entwicklung und Vergütung noch getrennt behandeln und damit nicht immer eine komplette Sicht auf den Mitarbeiter haben.
Lassen Sie uns ein Blick auf die Vergütungsthematik werfen. Beobachten Sie Veränderungen zum Beispiel in der Gestaltung der Vergütungsstruktur?
Carsten Schlichting: Viele mittlere Unternehmen haben erst kürzlich einen Comp&Ben-Bereich etabliert. Bisher hatten die operativen Personalbereiche das Thema mit bearbeitet.
Das ist bemerkenswert, denn Comp&Ben gilt eigentlich als Expertenthema …
Carsten Schlichting: In der Tat. Spätestens mit dem Anspruch einer weltweiten Steuerung lässt sich dieser Bereich nicht mehr nebenbei erledigen. Grundsätzlich sehen wir, dass im Heimatland die Vergütungsthemen meist gut geregelt sind, es gibt im AT-Bereich in der Regel ein einheitliches Jahresbonusprogramm, im Tarifbereich neben den tariflichen Leistungszulagen häufig ergebnisbezogene Erfolgsprämien.
Die Herausforderung liegt vermutlich darin, ein weltweit einheitliches System zu gestalten?
Carsten Schlichting: … zumindest für die Führungskräfte. Und genau dabei stellt sich oft heraus, dass die in den Ländern verwendeten Systeme nicht oder nur rudimentär bekannt sind und dass eine simple Übertragung des deutschen Modells nicht sinnvoll ist – und auch nicht akzeptiert wird. Hinzu kommt, dass die Ebenen in den Auslandsgesellschaften mit denen des Stammlandes synchronisiert werden und belastbare Informationen über die Vergütungssituation in den Ländern bereitgestellt werden müssen. Und welcher deutsche HR-Business Partner kann schon die Vergütungslandschaft beispielsweise in Indien kompetent beurteilen?
Kommen im Mittelstand neben Jahresboni auch Long-term Incentives (LTI) zum Einsatz?
Carsten Schlichting: Ja, aber längst nicht in der Intensität wie bei großen Konzernen. Etwa die Hälfte der von uns untersuchten mittelständischen Unternehmen nutzt LTI zumindest auf der ersten Ebene unterhalb der Geschäftsführung. Zu ca. 80 % kommen dabei Cash-Pläne zum Einsatz, bei börsennotierten Unternehmen auch Aktien.
Gibt es Besonderheiten bei den Bemessungsgrundlagen?
Carsten Schlichting: Bei den Bemessungsgrundlagen für LTI dominieren interne Erfolgsziele, da die Mehrzahl der Unternehmen nicht börsennotiert ist. Von der Höhe her sind die meisten LTI auf 200% des Zielwertes gedeckelt, die Laufzeit beträgt typischer Weise drei bis vier Jahre. Das ist gängige Marktpraxis – egal, ob es sich um sehr große oder kleinere Unternehmen handelt.
Werfen wir zum Abschluss noch ein Blick nach vorn: Welche Themen und Herausforderungen stehen für die Zukunft ganz oben auf der HR-Agenda mittelständischer Unternehmen?
Carsten Schlichting: Die systematische Verknüpfung von Performance- und Talent Management mit Vergütung wird fortschreiten. Dazu gehört nicht zuletzt die Etablierung systematischer Beurteilungsprozesse auf allen Ebenen und in allen Ländern – auch, um die Transparenz über die im Unternehmen vorhandenen Potenziale zu erhöhen. Außerdem werden Bonusprogramme vereinheitlicht und auf weitere Beschäftigungsgruppen ausgedehnt. Zudem beschäftigen sich viele Firmen mit der Einführung einer marktgerechten betrieblichen Altersversorgung oder deren Umstellung von einem endgehaltsorientierten auf ein beitragsbezogenes System. Gerade jüngere Mitarbeiter sind für Bedeutung der Altersversorgung zunehmend sensibilisiert.
Vielen Dank für das Gespräch!
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