Die aktuelle Hauptversammlungssaison wird als eine weitgehend ruhige in die Geschichte der deutschen Corporate Governance eingehen, schon allein, weil nur wenige Unternehmen mit ihrem Vorstands- oder Aufsichtsratsvergütungssystem auf der Hauptversammlung waren. Aber auch schon bei diesen wenigen sind die Ergebnisse unterschiedlich ausgefallen – bei den Vergütungssystemen wie auch bei den Vergütungsberichten. Institutionelle Investoren und Stimmrechtsberater schauen zunehmend kritischer auf die Vorstandsvergütung. Gute Ergebnisse heute sind somit keine Garantie für die Zukunft. Und 2025 muss rund die Hälfte der Unternehmen aus der DAX-Familie mit ihrem Vorstandsvergütungssystem auf die Hauptversammlung.

Die hkp///group Corporate Governance Advisors Nina Grochowitzki und Dr. Pia Lünstroth ziehen eine erste Bilanz der aktuellen Entwicklungen und blicken auf die Herausforderungen für das Say on Pay in 2025.

Frau Grochowitzki, Frau Dr. Lünstroth, warum gehen Sie nach einer weitgehend ruhigen Hauptversammlungssaison in puncto Vorstands- und Aufsichtsratsvergütung davon aus, dass wir 2025 ein komplett anderes Bild sehen werden?

Nina Grochowitzki: Es sind die regulatorischen Rahmenbedingungen, die die Aussicht auf eine lebhaftere HV-Saison 2025 bewirken. Wichtigster Faktor ist dabei das Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie, ARUG II, das zum Januar 2020 in Kraft getreten ist. Es sieht vor, dass – sofern es keine wesentlichen Änderungen gibt, die eine frühere Abstimmung erforderlich machen – Vergütungssysteme für Vorstand und Aufsichtsrat mindestens alle vier Jahre den Aktionären zur Billigung auf der Hauptversammlung vorzulegen sind.

Dr. Pia Lünstroth: Und nachdem viele Unternehmen auf der Hauptversammlung 2021 zum ersten Mal ins verpflichtende Say on Pay gegangen sind, ist dieser Vierjahreszeitraum nun ausgeschöpft. Damit werden wir im kommenden Jahr viele Vergütungssysteme in der Abstimmung sehen.

Von welchen Dimensionen sprechen wir?

Dr. Pia Lünstroth: Nach unserer Schätzung werden etwa die Hälfte der in DAX, MDAX und SDAX notierten Unternehmen das Thema Vorstandsvergütung auf die Tagesordnung bringen, sei es, weil die Vierjahresfrist verstrichen ist oder Vergütungssystem und/oder Vergütungsbericht nur geringe Zustimmung oder sogar Ablehnung erfahren haben. Und allein diese Anzahl legt nah, dass wir in ein geräuschvolleres Say-on-Pay-Jahr laufen.

Ist es wirklich notwendig, das aktuell gültige Vergütungssystem für die Hauptversammlung 2025 zu überarbeiten?

Nina Grochowitzki: Mit Blick auf die regulatorischen Anforderungen könnte auch ein unverändertes Vergütungssystem vorgelegt werden. Investoren schauen jedoch kritischer denn je auf Vergütungsthemen, haben sich doch hier einige substanzielle Weiterentwicklungen ergeben.

Sie spielen auf die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien an?

Nina Grochowitzki: In der Tat ist dieser Aspekt stark in den Fokus des Investoren-Interesses gerückt. So fordern einige Investoren inzwischen eine explizite Verankerung von ESG-Zielen im Long-Term Incentive, also der langfristigen variablen Vergütung.

Dr. Pia Lünstroth: Daneben sind Clawback-Regelungen und der Wunsch nach Aktienhaltevorschriften bzw. Share Ownership Guidelines wesentlicher Bestandteil der Investorenanforderungen.

Sind damit Investorenerwartungen der maßgebliche Treiber für Änderungen?

Dr. Pia Lünstroth: Sie sind nur eine Seite der Medaille. Wichtiger ist neben der kapitalmarktorientierten die interne Perspektive. Aufsichtsräte sollten sich mit der Frage beschäftigen, ob das bisherige Vergütungssystem die aktuelle Unternehmensstrategie umsetzt. Dabei ist auch die eigene Nachhaltigkeitsstrategie zu berücksichtigen, die viele Unternehmen in den vergangenen Jahren aktualisiert haben.

… und die neben den Aspekten Umwelt und Governance zunehmend auch das S, also die soziale Nachhaltigkeit und damit auch Mitarbeiter-spezifische Themen einschließt.

Nina Grochowitzki: … und über das Lieferkettengesetz auch externe soziale Fragen einbezieht. Das ist eine neue Qualität, die sich auch in Vergütungsfragen niederschlagen muss und wird. Die langfristige variable Vergütungskomponente ist hier aus unserer Sicht das geeignete Element im Rahmen der Vorstandsvergütung.

Dr. Pia Lünstroth: Neben der Nachhaltigkeitsthematik rückt immer wieder die Frage nach dem diskretionären Entscheidungsspielraum von Aufsichtsräten in Fragen der Vorstandsvergütung in den Blick. Der Aufsichtsrat kann und muss prüfen, welche Möglichkeiten für Flexibilität im Rahmen des Vergütungssystems vorgesehen werden können. Dabei sind Transparenz und Nachvollziehbarkeit weiterhin sicherzustellen.

Hat sich denn auch die Marktpraxis in den vergangenen vier Jahren entwickelt?

Nina Grochowitzki: Die Market Best Practice folgt üblicherweise in hohem Maße den Anforderungen von Investoren. Zudem sind geänderte Steuerungsmechanismen der Unternehmen erkennbar. Liquidität spielt vor dem Hintergrund der vergangenen Krisen eine bedeutendere Rolle als in früheren Jahren.

Gilt die gesetzliche Verpflichtung zur Wiedervorlage des Vergütungssystems auch für die Aufsichtsratsvergütung?

Nina Grochowitzki: Ja, auch das Vergütungssystem für den Aufsichtsrat muss mindestens alle vier Jahre oder bei wesentlichen Änderungen zur Abstimmung gestellt werden.

Aufsichtsratsvergütung hat im Vergleich zur Vorstandsvergütung vergleichsweise ein Schattendasein geführt. Ist diese Pflicht zur regelmäßigen Befassung gerechtfertigt?

Dr. Pia Lünstroth: Aus unserer Sicht ja. Unternehmen können und sollten so die Chance nutzen und überprüfen, ob die Vergütung ihrer Aufsichtsräte mit den erweiterten fachlichen Anforderungen und gestiegenem Haftungsrisiko wie auch der insgesamt durch Krisen und generelle Transformation erhöhten Aufgabendichte im Einklang steht. Professionelle Aufsicht und Strategiebegleitung braucht eine professionelle Vergütung, was auch deren Höhe einschließt.

… und zugleich auch mehr internationale Kandidaten anlockt?

Dr. Pia Lünstroth: Die Wettbewerbsfähigkeit für internationale Kandidaten ist nochmals ein gesonderter Punkt, der vor dem Hintergrund der voranschreitenden Internationalisierung von Geschäftsmodellen berücksichtigt werden muss. Aber die Vergütung allein ist es nicht. Mit unserem zweistufigen Governance-Modell, das wir aus Gründen der Wirksamkeit der einstufigen Governance als überlegen erachten, stoßen wir aber gerade bei Kandidaten aus dem angelsächsischen Raum auf Grenzen. Hinzu kommt, dass durchgängig englischsprachige Aufsichtsratssitzungen nach wie vor Seltenheitswert haben. Aber ja, eine der Aufgabe angemessene Vergütung ist ein wichtiges Element in einer Professionalisierung und weiteren Internationalisierung der Aufsichtsratsarbeit.

Stehen Investoren einer Erhöhung der Vergütung von Aufsichtsräten offener gegenüber als bei Vorständen?

Nina Grochowitzki: Das kann so pauschal nicht gesagt werden. In beiden Fällen ist zu beachten, dass Erhöhungen differenziert zu begründen sind. Eine Möglichkeit, um Vergütungserhöhungen speziell bei Aufsichtsräten für den Kapitalmarkt akzeptabler zu machen, besteht darin Aktienhaltevorschriften einzuführen, also Aufsichtsräte zum Teil in Aktien zu vergüten oder sie dazu zu verpflichten, Aktien des eigenen Unternehmens während ihrer Mandatstätigkeit zu halten, um so auch die strategische Begleitung, neben der unabdingbaren Kontrollfunktion, stärker zu betonen.

Wie können sich Unternehmen auf das Say on Pay 2025 vorbereiten?

Pia Lünstroth: Das Thema sollte nicht auf die lange Bank geschoben werden. Eine frühzeitige Befassung ist generell zu empfehlen, erst recht, wenn in der Vergangenheit die entsprechenden Prozesse in der internen Abstimmung noch nicht hundertprozentig rund gelaufen sind. So sollte in der Herbstsitzung des Aufsichtsrats die Überprüfung des aktuellen Vergütungssystem mit den entsprechenden Veränderungen besprochen werden.

Nina Grochowitzki: Hierzu bieten wir unseren Kunden einen speziellen Quick Check an, der kompakt Handlungsfelder identifiziert und Anpassungsvorschläge ableitet. Auf dieser Basis kann dann auch das Engagement mit den Investoren gestartet werden, die frühzeitig in eine Überarbeitung eingebunden werden sollen, um ein positives Abstimmungsergebnis zu erzielen. Gerade mit Blick auf die vielen Say on Pay Abstimmungen in der kommenden Hauptversammlungssaison ist ein frühzeitiges Shareholder Engagement essenziell.
Interessenten können sich dazu gern auch im Rahmen unseres Corporate Governance Online Tutorials am 25. Juni 2024 im Detail informieren.

Vielen Dank für das Gespräch!

* candy1812 @ AdobeStock
Autor Nina Grochowitzki

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